16.12.20 –
Vorläufiger Beschluss auf dem Landesausschuss:
Seit 2012 schützt der Abschiebestopp nach Syrien syrische Geflüchtete davor in das Kriegs- und Krisengebiet zurückgeschickt zu werden. Er wurde vor acht Jahren auch als Zeichen beschlossen, dass man einem Regime, das Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, niemandem ausliefern wird. Die Innenminister*innen der Union tun jetzt so, als sei der Krieg vorbei und die Menschenrechtssituation in Syrien stabil – auf der Dezember-IMK haben sie beschlossen den Abschiebungsstopp nach Syrien zum Ende des Jahres auslaufen zu lassen.
Dabei hat sich die Menschenrechts- und Sicherheitslage in Syrien nicht verbessert – ganz im Gegenteil. "Durch diese Entwicklungen der letzten Jahre sind die Schutzmöglichkeiten des Individuums vor staatlicher Gewalt und Willkür – welche immer schon begrenzt waren – weiterhin deutlich verringert worden", urteilt das Auswärtige Amt in seinem aktuellen Lagebericht. "Ungeachtet des relativen Rückgangs der Kampfhandlungen kommt es laut den Vereinten Nationen (VN) in allen Landesteilen weiterhin zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch verschiedene Akteure. Insbesondere in Gebieten unter Kontrolle des Regimes, aber auch in allen anderen Gouvernements Syriens sind Individuen Risiken ausgesetzt, die eine Gefahr für Leib und Leben darstellen können."
Die Region Idlib wird weitestgehend von der dschihadistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) sowie Türkei-naher bewaffneter Gruppierungen kontrolliert und ist nach wie vor umkämpft – zusammen mit seinem russischen Verbündeten versucht Assad die Kontrolle zurückzuerlangen. Systematische Kriegsverbrechen gehören hierbei zur Strategie, etwa systematische Angriffe auf medizinische Einrichtungen und auf zivile Infrastruktur. Die militärische Offensive, die 2019 gestartet wurde, hatte die größte Massenflucht seit Beginn des Aufstands 2011 zur Folge: Anfang des Jahres 2020 flüchteten über eine Million Menschen an die (geschlossene) türkische Grenze und harren seitdem dort in Zelten oder im Freien aus. Zwar besteht seit März 2020 ein fragiler Waffenstillstand, dennoch fallen immer wieder Bomben auf Städte und Dörfer.
Weitere Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei werden durch die Türkei und ihr nahestehende bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. In der mehrheitlich kurdisch geprägten Region wurde durch eine militärische Offensive der Türkei 200.000 Menschen intern vertrieben, insgesamt leben dort 600.000 Binnenvertriebene. Derzeit hat die Türkei seine militärische Offensive wieder verstärkt – es gibt viele zivile Opfer. Außerdem wird immer wieder von Verschleppungen der Bevölkerung durch von der Türkei finanzierten, islamistischen Söldnergruppen berichtet. Diese kappen auch regelmäßig die Wasserversorgung für Hunderttausende Zivilist*innen in der Region um Hassaka.
Aus den von der Türkei bzw. türkisch unterstützten Milizen kontrollierten Landesteilen im Nordwesten (Afrin und die "Euphrates Shield Zone") wird von internen Kämpfen der Milizen, von willkürlicher Gewalt, Entführungen und insgesamt einem Zustand massiver Rechtslosigkeit berichtet.
Das Assad-Regime ist verantwortlich für schwerste und andauernde Menschenrechts- und Kriegsverbrechen: Darunter völkerrechtswidrige Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Bomben auf zivile Einrichtungen wie Schulen, Märkte, Krankenhäuser, der Einsatz von Chemiewaffen, das Aushungern ganzer Städte, Verschwindenlassen, systematische und flächendeckende Folter sowie sexualisierte Gewalt, Massenexekutionen, kollektive Bestrafungen und willkürliche Eingriffe in die Eigentumsrechte.
Es ist klar, dass es weder befriedete Gebiete in Syrien gibt, noch eine Sicherheit für die abgeschobenen Menschen garantiert werden kann. Rückkehrenden – ob freiwillig oder nicht – droht in Syrien Folter und Tod. Bereits etliche Male wurden in der Vergangenheit vor dem 2012 eingeführten Abschiebungsstopp aus Deutschland Menschen nach Syrien abgeschoben und anschließend dort inhaftiert und gefoltert. Deshalb haben Bündnis 90/Die Grünen bereits 2009, vor der syrischen Demokratiebewegung und vor dem Krieg Abschiebungen nach Syrien abgelehnt. Denn das Syrien des Assad-Regimes ist seit jeher ein Folterstaat.
Abschiebungen nach Syrien würden aber eine aktive Zusammenarbeit deutscher Behörden mit syrischen Sicherheitsbehörden voraussetzen. Assads Sicherheitsbehörden sind für in ihrer Dimension kaum vorstellbare Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen verantwortlich. Abschiebungen in einen Folterstaat wie Syrien sind entsprechend gemäß Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ausnahmslos verboten. Ebenso verstoßen Abschiebungen nach Syrien gegen das Internationale Völkerrecht und das deutsche Grundgesetz. Jemanden an das syrische Regime auszuliefern, läuft darauf hinaus, diese Person wissentlich Folter preiszugeben und zum Tode zu verurteilen.
Kooperationen mit dem Assad-Regime zum Zweck von Abschiebungen rehabilitieren zudem einen international geächteten Menschenrechts- und Kriegsverbrecher und senden ein gefährliches Signal an die Autokraten dieser Welt.
Deshalb fordern wir:
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