Prävention stärken, Konsument*innen entkriminalisieren – für eine zukunftsgerichtete und menschenzentrierte Drogenpolitik in Berlin

30.11.24 –

Beschluss auf der Landesdelegiertenkonferenz:

Bündnis 90/Die Grünen Berlin setzt sich für eine moderne, wissenschaftsbasierte Drogenpolitik ein, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und speziell auf die Herausforderungen in Berlin eingeht. Der Fokus auf repressive Maßnahmen führt zu einer Verschärfung der Problematik und verhindert den Zugang zu Hilfe und Unterstützung. Berlin hat bereits heute eine sehr aktive und professionelle Hilfelandschaft, die jedoch von einer chronischen Unterfinanzierung betroffen ist, während die Herausforderungen nicht zuletzt durch die sichtbare Verwahrlosung und Verelendung im öffentlichen Raum zunehmen. Dabei geht es um weit mehr als nur die öffentlich immer wieder bekannten und benannten Problemzonen wie dem Görlitzer Park, das Kottbusser Tor, der Leopoldplatz und der Stuttgarter Platz. Es braucht eine gesamtstädtische Strategie, die Probleme nicht nur von einem Ort an den nächsten verdrängt.

Wir streben daher eine Politik an, die auf Gesundheitsförderung, Schadensminimierung ("harm reduction") und Entkriminalisierung statt auf Repression setzt. Dies bedeutet, präventive, therapeutische und niedrigschwellige Hilfsangebote gezielt zu stärken. Unser Ziel ist es, die Stigmatisierung von drogenkonsumierenden Menschen abzubauen und den Zugang zu Hilfsangeboten zu erleichtern, um so gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

 

1. Hilfe statt Strafe – Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von Konsument*innen

Drogenkonsum ist in Berlin gesellschaftliche Realität, und die Kriminalisierung von Konsument*innen richtet großen Schaden an, ohne dass sie einen erkennbaren Nutzen für die Gesellschaft hat.

Sie führt zu einer schädlichen Stigmatisierung von Drogenkonsument*innen, erschwert den Zugang zu Hilfsangeboten, behindert die Resozialisierung und erhöht die durch Drogen verursachten gesundheitlichen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schäden. Beschaffungskriminalität, organisierte Kriminalität, hochgefährliche Beimengungen und überdosierte Präparate auf dem Schwarzmarkt sind nur einige der Gefahren, die vornehmlich durch die Prohibition und nicht durch Substanzen selbst herbeigeführt werden und für die bis heute keine sicherheitspolitisch wirksamen Gegenstrategien gefunden wurden. Die durch die Kriminalisierung beabsichtigte generalpräventive Wirkung konnte bis heute nicht hinreichend wissenschaftlich belegt werden. Der Konsum illegaler Drogen und die Anzahl der Drogentoten in Berlin haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zugenommen, während sie bei den legalen Drogen Alkohol und Tabak durch Aufklärung, Prävention und eine erhöhte Besteuerung effektiv reduziert werden konnten.

Nach vielen Jahrzehnten der Prohibition muss anerkannt werden, dass sie grundsätzlich gescheitert und der bestehende Trend nicht durch repressive Maßnahmen bzw. eine “Law and Order”-Politik umkehrbar ist. Die Versprechen, mit denen konservative Politiker*innen ihr schadhaftes Vorgehen gegen Konsument*innen rechtfertigen, konnten nie eingelöst werden.

Wir fordern aktive Maßnahmen des Landes Berlin zur Entkriminalisierung konsumnaher Delikte und setzen uns für eine Öffentlichkeitsarbeit zur Entstigmatisierung drogenkonsumierender Menschen ein. Initiativen zur Sensibilisierung und Aufklärung können dabei helfen, gesellschaftliche Vorurteile abzubauen.

Ein Kernelement dieser Maßnahmen muss aus unserer Sicht sein, dass der Berliner Senat mit einer Allgemeinen Verfügung dafür Sorge trägt, dass bei konsumnahen Betäubungsmitteldelikten im Rahmen der aktuellen rechtlichen Möglichkeiten nach §31a Betäubungsmittelgesetz (BtMG), §37 BtMG und §153a Strafprozessordnung (StPO) von der Strafverfolgung in der Regel abgesehen wird - insbesondere sind für alle gängigen Betäubungsmittel "Geringe Mengen" nach §31a BtMG festzulegen. Deren Höhe ist so auszurichten, dass die Strafverfolgung sich auf die organisierte Kriminalität und den Handel fokussiert und Verfahren gegen reine Konsument*innen in aller Regel eingestellt werden.

Vorbild hierfür kann die am 26.03.2015 vom Berliner Senat erlassene Allgemeine Verfügung zur Umsetzung des §31a BtMG in Bezug auf Cannabisdelikte sein. Der aktuelle bundesrechtliche Rahmen bietet ausreichende Möglichkeiten, bei der Entkriminalisierung auch dem höheren Risiko anderer Substanzen Rechnung zu tragen und den Fokus auf Beratungs- und Suchthilfeangebote zu legen, bspw. durch das Absehen von der Strafverfolgung unter (Therapie-)Auflagen (§153a StPO) - Hilfe statt Strafe, wie es bspw. in Portugal mit dem sog. “Portugiesischen Modell” seit 2001 erfolgreich praktiziert wird, soll gemeinsam mit dem Ansatz der akzeptierenden Drogenpolitik in der Suchthilfe Leitmotiv der Berliner Drogenpolitik werden.

Die Regulierung und der staatliche Umgang mit Drogen muss sich fakten- und wissenschaftsbasiert an dem individuellen Risikoprofil und den gesellschaftlichen Auswirkungen des Konsums der verschiedenen Substanzen orientieren.

Mittel und Ressourcen, die bisher für repressive Maßnahmen und die sinnlose, teure Inhaftierung zumeist mittelloser oder psychisch kranker Konsument*innen aufgewendet wurden, sollen künftig in Prävention und Suchthilfe investiert werden (siehe auch Abschnitt 10). Die Umschichtung von Mitteln kann durch mehr Aufklärung, Entstigmatisierung und den Ausbau niedrigschwelliger Beratungsangebote (bspw. Drug-Checking) problematischen Konsummustern besser vorbeugen. Abhängigen Menschen können durch mehr Angebote künftig bessere Perspektiven für den Ausstieg aus der Abhängigkeit oder alternativ besserer Zugang zu Substitutionstherapien eröffnet werden, die ein selbstbestimmtes und in die Gesellschaft integriertes Leben ermöglichen.

Berlin sollte sich an Modellprojekten zur Abgabe von Cannabis beteiligen und außerdem wissenschaftliche Modellprojekte zur niedrigschwelligen Abgabe auch anderer Substanzen prüfen, um den gefährlichen Schwarzmarkt einzudämmen.

 

2. Entwicklung einer Berliner Sucht- und Drogenstrategie

Die Berliner Drogenpolitik braucht eine umfassende und integrierte Strategie, die Prävention, Therapie und Schadensminderung vereint. Diese Strategie muss auf den aktuellen Herausforderungen und Bedarfen der Stadt basieren und klare Ziele und Maßnahmen zur Reduktion drogenbedingter Gesundheitsrisiken festlegen. Dafür bietet die Evaluation einer Landesstrategie „Drogen & Sucht“ eine gute Grundlage. Funktionierende, bestehende Projekte, die Handlungsfelder „Drogen und Sucht“ und „Drogenkonsumräume“ sowie mobile Beratungseinheiten, niedrigschwellige Modellprojekte, das Drug-Checking genauso wie die Suchtberatungsstellen und Präventionsarbeit in den Bezirken sollen in diese Strategie integriert und ausgebaut werden.

Die Rolle der Strafverfolgungsbehörden soll sich dabei in erster Linie auf die Verfolgung der organisierten Kriminalität beschränken. Ein Austausch zwischen Suchthilfe und den Sicherheitsbehörden muss sichergestellt werden, um gemeinsam auf neue Herausforderungen und Risiken reagieren zu können; etwa, wenn besonders gefährliche neue psychoaktive Substanzen in Verkehr gebracht werden.

 

3. Stärkung von Therapieangeboten

Suchttherapieangebote in Berlin sind zurzeit nicht immer ausreichend und Therapieplätze oft nicht so kurzfristig verfügbar, wie es erforderlich wäre. § 35 36 BtMG bieten die Möglichkeit, dass die Vollstreckung von Strafen zugunsten einer Therapie zurückgestellt und bei erfolgreichem Abschluss erlassen oder zur Bewährung ausgesetzt wird. Dies soll Straftäter*innen, die ihre Tat aufgrund von Drogenabhängigkeit begangen haben (bspw. Beschaffungskriminalität), eine Chance auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft bieten und die Rückfallquote verringern. Damit von dieser Möglichkeit öfter Gebrauch gemacht werden kann, bedarf es aus unserer Sicht folgender Verbesserungen:

  • Es müssen zusätzliche Therapieplätze geschaffen werden, um Wartezeiten zu verkürzen und dem Bedarf gerecht zu werden.
  • Um eine nachhaltige Rehabilitation zu gewährleisten muss die Qualität der bestehenden Therapieangebote regelmäßig überprüft werden sowie durch regelmäßige Fortbildungen begleitet werden.
  • Die Effektivität von Substitutionstherapien und Suchthilfe wird durch die Berücksichtigung der individuellen Konsummuster und der spezifischen Auswirkungen der jeweiligen Substanzen auf den Einzelnen erhöht. Dabei ist es wichtig, differenzierte Angebote zu entwickeln, die sowohl die Besonderheiten der einzelnen Substanzen als auch die häufig auftretenden Mischkonsummuster berücksichtigen. Ziel ist es, eine ganzheitliche und anpassungsfähige Unterstützung zu bieten, die auf die vielfältigen Bedürfnisse der Betroffenen eingeht.
  • Damit den Betroffenen die entsprechenden Therapiemöglichkeiten offenstehen, bedarf es außerdem mehr Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierungskampagnen, um die Akzeptanz derartiger Therapieangebote zu erhöhen. Es ist wichtig, die Gesellschaft über die Vorteile von "Therapie statt Strafe" aufzuklären und die Menschlichkeit der Betroffenen in den Vordergrund zu stellen.
  • Die Vollstreckungs- und Vollzugsbehörden sollten dazu angehalten werden, geeignete Personen für einen Straferlass nach § 35/36 BtMG proaktiv über Therapieangebote als Alternative für den Strafvollzug zu informieren.
  • Um Rückfälle zu vermeiden, bedarf es außerdem einer angemessenen Nachsorge nach der Inanspruchnahme einer Therapie, beispielsweise durch Nachsorgezentren, die Förderung von Selbsthilfegruppen und Peer-Support-Programmen.

 

4. Stärkung und bürokratische Entlastung niedrigschwelliger Hilfsangebote

Vermeintlich niedrigschwellige Hilfsangebote in Berlin wie Drogenkonsumräume und Drug- Checking-Programme werden unter anderem durch umfangreiche bürokratische Anforderungen erschwert zugänglich gemacht und erreichen viele Konsument*innen derzeit nicht. Eine der Zugangsvoraussetzungen für Drogenkonsumräume ist das Ausfüllen des deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe (KdS), der zeitintensive und detaillierte Angaben erfordert. Dies kann für drogenkonsumierende Menschen eine erhebliche Hürde darstellen, da sie sich als Konsumierende registrieren und umfangreiche, sensible persönliche Daten preisgeben müssen.Diese Hürden müssen gerade für den Ausbau niedrigschwelliger Angebote evaluiert und wo sinnvoll abgebaut werden, um den Zugang zu erleichtern und die Effizienz zu steigern. Der Zugang zu bereits bestehenden Hilfsangeboten soll durch eine Überprüfung der Relevanz der KdS-Kriterien erleichtert und bei erweiterten niedrigschwelligen Hilfsangeboten zukünftig soweit reduziert werden, wie es für die Behandlung und Evaluation notwendig ist. Denkbar ist auch ein System stichprobenartiger Erfassung, damit eine vollumfängliche Erfassung der KdS nicht als Zugangsvoraussetzung faktisch den Zugang begrenzt.

Weiterhin fordern wir den verstärkten Einsatz mobiler Angebote z.B. durch Konsummobile an stark belasteten Orten an die sich der Konsum im öffentlichen Raum verlagert, um den Menschen vor Ort schnelle Hilfe zu bieten. Die Berliner „Verordnung über die Erteilung einer Erlaubnis für den Betrieb von Drogenkonsumräumen“ muss überarbeitet werden, mit dem Ziel den niedrigschwelligen Zugang für Betroffene zu verbessern. Auch die neuen Herausforderungen durch die zunehmende Verbreitung von Crack in Berlin müssen dabei berücksichtigt werden, Forschungsvorhaben zu wirksamen Strategien gegen Crack-Abhängigkeit untersucht und implementiert werden.

Betreiber von Drogenkonsumräumen sollen vom Land Berlin in die Lage versetzt werden, längere Öffnungszeiten und auch Drug-Checking anbieten zu können.

Substitutionstherapien sollen künftig deutlich niedrigschwelliger zugänglich sein, auch für Patienten ohne Krankenversicherung. Zudem sollte die Abgabe durch Betreuungspersonal vereinfacht ermöglicht werden.

 

5. Verbesserte Verfügbarkeit von Drug-Checking und Überführung in ein Regelangebot

Drug-Checking ist eine zentrale Maßnahme zur Schadensminderung, die den sicheren Konsum fördert und potenzielle Gesundheitsrisiken reduziert. In Berlin wird das seit 2023 bestehende Angebot sehr gut angenommen, aufgrund mangelnder Ressourcen kommt es dort jedoch zu langen Wartezeiten, die eine zusätzliche Schwelle zur Nutzung des Angebots darstellen.

Wir setzen uns daher für die Ausweitung bestehender Berliner Modellprojekte ein und fordern deren Überführung in ein Regelangebot. Für eine Erhöhung der Kapazitäten spielt der systematische Einsatz von Schnelltests eine entscheidende Rolle, um den Konsumenten ein schnelleres Feedback geben zu können. Diese Tests zur Analyse von Substanzen sollten nicht nur wie bisher stationär erfolgen, sondern durch mobile Angebote ausgeweitet werden, um den niedrigschwelligen und zielgruppenspezifischen Zugang zu verbessern.

Zudem sollte eine digitale Terminvergabe ermöglicht und die Aufklärungsarbeit durch das Drug-Checking gestärkt werden. Drug-Checking kann insbesondere im Zusammenspiel mit der Suchthilfe beim Monitoring unterstützen und beispielsweise Entwicklungen im Zusammenhang mit Substanzen wie Fentanyl schneller erfassen, um ihnen effektiver begegnen zu können.

 

6. Stärkung der Hilfe bei opioidbedingten Drogennotfällen

Die Bereitstellung von Naloxon, einem Notfallmedikament bei Opioid-Überdosierungen, ist essenziell für Berlin. Wir fordern die Aufhebung der Verschreibungspflicht, die Fortführung bzw. Ausweitung von Take-Home-Naloxon-Programmen und die Vorhaltung von Naloxon in Notdienst-Apotheken, um eine bessere Verfügbarkeit und eine schnelle Einsatzmöglichkeit zu gewährleisten. Berlin sollte die rechtliche Machbarkeit einer breiten Take-Home- Naloxonvergabe oder Rezeptausstellung auf Landesebene prüfen sowie das geplante Naloxon- Projekt, für das seit mehreren Jahren Mittel im Haushalt eingestellt sind, endlich umsetzen.

Zudem soll ein lokales Warnsystem etabliert werden, das vor gefährlichen Beimengungen und hohen Konzentrationen warnt (bspw. durch Aushänge an Brennpunkten, Smartphone-Apps, und Infoscreens in Drogenkonsumräumen). Ferner muss sichergestellt werden, dass Schnelltests für synthetische Opioide unkompliziert verfügbar sind.

Die Alarmierung von Rettungskräften bei Drogennotfällen darf nicht in eine Strafverfolgung von Konsument*innen aufgrund des Besitzes von Betäubungsmitteln münden.

 

7. Umgestaltung öffentlichen Raums durch soziale und sicherheitsfördernde Maßnahmen

Das Zusammenleben im öffentlichen Raum baut auf sozialen Angeboten, dem Sicherheitsempfinden und der Akzeptanz aller Nutzungsgruppen auf. Zusätzlich zur Entkriminalisierung und Präventionsmaßnahmen muss im öffentlichen Raum ein Umfeld geschaffen werden, welches Nutzungskonflikte ausgleicht, Anlaufstellen für Anwohner\*innen, Gewerbetreibende und Nutzer\*innen schafft, somit ein harmonisches Zusammenleben im öffentlichen Raum fördert und gleichzeitig die Sicherheit erhöht. Wir wollen denn öffentlichen Raum integrativ gestalten. Maßnahmen dürfen nicht einfach nur zu einer Verlagerung der Problematik in die umliegenden Kieze führen. In jedem Bezirk kann eine Drogenszene entstehen.

Durch Nutzungskonzepte können geschützte und integrierte Bereiche geschaffen werden, die einen sicheren und würdevollen Konsum ermöglichen, verbunden mit dem Zugang zu Hilfsangeboten. In stark frequentierten Bezirken können abgegrenzte Bereiche drogenkonsumierenden Menschen als Rückzugsorte dienen und gleichzeitig den Konsum aus dem allgemeinen öffentlichen Raum verlagern. Diese Bereiche sollten barrierefrei zugänglich und mit den notwendigen hygienischen und medizinischen Angeboten ausgestattet sein. Die Gestaltung im Sinne eines Ausgleichs sollte auch im Zuge von klimabedingten Umstrukturierungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Der Ausbau aufsuchender Sozialarbeit und Präventionsmaßnahmen im öffentlichen Raum wird helfen, die Situation langfristig zu verbessern. Die aufsuchende Sozialarbeitet bietet konkret Hilfestellung an belasteten Orten und kann im Bedarfsfall sofort intervenieren, wodurch die Belastung für alle Betroffenen reduziert und zugleich eine Brücke zu Hilfsangeboten geschaffen wird. Daneben braucht es Anlaufstellen für Anwohner\*innen, Gewerbetreibende und Besucher\*innen, die Alltagsfragen oder -probleme aufnehmen und mit den anderen Akteuren vor Ort koordinieren und abstimmen können. Berlin sollte entsprechende Pilotprojekte fördern, die alternative Sicherheitskonzepte im öffentlichen Raum erproben und wissenschaftlich evaluieren. Solche Pilotprojekte können wichtige Erkenntnisse für eine zukünftige, dauerhaft nachhaltige und integrative Sicherheitsgestaltung liefern.

‌An öffentlichen Orten, die durch ihre bauliche Gestaltung gerade in den Abend- und Nachtzeiten unterbeleuchtet sind, sollte die Beleuchtung gezielt verbessert werden, um das subjektive Sicherheitsgefühl zu stärken und gleichzeitig Risiken für die öffentliche Sicherheit zu minimieren.

Die Präsenz der Sicherheitsbehörden muss unter Berücksichtigung der Nutzungskonzepte durch eine verstärkte sozialadäquate und deeskalationsorientierte Aufgabenwahrnehmung als Teil der Gesamtstrategie begriffen werden und den Fokus auf die Verhinderung von Gewalttaten und die Eindämmung der Beschaffungskriminalität legen. Eingesetze Akteure in Drogenkonsumbereichen müssen über die nötigen sozialen Kompetenzen verfügen, um vermittelnd und deeskalierend zu handeln. Die Einbindung der örtlich zuständigen Akteure bei der Erstellung und Evaluation von Nutzungskonzepten für belastete öffentliche Räume ist entscheidend für die Akzeptenz und deren erfolgreiche Umsetzung.

 

8. Förderung der sektorübergreifenden Zusammenarbeit

Bislang arbeiten verschiedene Akteure in versäulten Strukturen an landesweiten Problemen nebeneinander. Dies wird der komplexen Situation vor Ort nicht gerecht. Eine effektive Drogenpolitik erfordert eine enge und vertrauensfördernde Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren aus Präventions- und Suchthilfe, der Sozialverwaltung, Polizei, Ordnungsämtern sowie den übrigen bezirklichen Beteiligten in Berlin. Modelle zur aktiven Einbeziehung von Betroffenen sollten entwickelt und umgesetzt werden.

Wir fordern neben der verstärkten sektorenübergreifenden Zusammenarbeit den Aufbau eines Berlin-Monitorings um Hotspots und Entwicklungen gezielt zu erkennen und spezifische Lösungen zu erarbeiten. Dabei setzen wir auf die Förderung und Einbeziehung wissenschaftlicher Studien zu Problemlösungsstrategien. Insbesondere sollten anonymisierte Daten aus der Suchthilfe integriert werden, um ein umfassenderes Lagebild zu erstellen, das Maßnahmen besser steuern kann. Um die Debatte nicht nur über aufkeimende Hotspots zu führen, kann mit einer gesamtstädtischen Strategie Bedarfe ermittelt, evaluiert und weiterentwickelt sowie effektiv koordiniert werden.

 

9. Anpassung der Konsumregelungen in Unterkünften für Wohnungs- und Obdachlose

Die derzeitigen Regelungen in Berliner Unterkünften für Wohnungs- und Obdachlose, die das Konsumieren von Betäubungsmitteln verbieten, widersprechen der Lebensrealität vieler BetroffenerSuchtmittelabhängiger und erschweren eine nachhaltige Unterstützung. Diese restriktive Praxis führt häufig dazu, dass Betroffene nicht die notwendigen Hilfeleistungen in Anspruch nehmen und die Einrichtungen verlassen müssen, um ihrem Konsum im öffentlichen Raum nachzugehen. Hier bedarf es einer pragmatischen und menschenwürdigen Neugestaltung:

  • Erarbeitung eines akzeptanzorientierten Konsumkonzepts in enger Zusammenarbeit mit Trägern der Einrichtungen und der Suchthilfe, das spezifische Konsumräume innerhalb oder in der Nähe von Unterkünften ermöglicht, um eine sichere und betreute Konsumumgebung zu schaffen.
  • Entwicklung spezieller Betreuungsangebote für suchtkranke Bewohner*innen mit Abhängigkeitserkrankungen innerhalb der Unterkünfte, die darauf abzielen, die gesundheitlichen Risiken des Konsums zu minimieren und Betroffene an Hilfs- und Therapieangebote heranzuführen.
  • Förderung von Unterbringungskonzepten, die den Konsumbedarf berücksichtigen, um obdachlose und abhängigesuchtkranke Menschen nicht zu gefährden oder in den öffentlichen Raum zu verdrängen, sondern eine realitätsnahe, sichere und integrierte Lösung anzubieten.

Mit diesen Änderungen trägt Berlin dazu bei, Suchthilfe effektiver und niedrigschwelliger zu gestalten und sicherzustellen, dass alle Menschen – insbesondere diejenigen in besonders prekären Lebenslagen – Zugang zu den Hilfen erhalten, die sie benötigen.

 

10. Ausreichende finanzielle Mittel zur nachhaltigen Ausweitung der Suchthilfe

Wir fordern eine deutliche Erhöhung der Mittel für die Berliner Suchthilfe, um eine bedarfsgerechte und umfassende Versorgung sicherzustellen. Angesichts der wachsenden Zahl drogenkonsumierender und abhängiger Menschen, insbesondere im öffentlichen Raum, ist eine nachhaltige Finanzierung erforderlich, um die bestehenden Angebote aufzustocken und qualitativ zu verbessern.

Hierzu zählen insbesondere:

  • Die Erhöhung der Kapazitäten für bestehende Suchthilfeträger sowie die finanzielle Förderung neuer, innovativer Modellprojekte, die sowohl Prävention als auch Schadensminimierung und Therapieansätze umfassen.
  • Die finanzielle Stärkung der Unterstützung für niedrigschwellige Hilfsangebote, darunter Drogenkonsumräume, mobile Beratungseinheiten und Drug-Checking-Programme, deren Wirksamkeit durch verlängerte Öffnungszeiten und optimierte personelle Ausstattung signifikant gesteigert werden könnte.
  • Investitionen in Schulungen und Weiterbildung für Mitarbeitende im Bereich der Suchthilfe sowie in die Bereitstellung sicherer Infrastruktur, um auch in problematischen Stadtteilen durchgängige, niedrigschwellige Hilfsangebote auf hohem Niveau anbieten zu können.

Das Land Berlin muss bei der Haushaltsplanung die Bedeutung dieser Maßnahmen anerkennen und priorisieren, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.

Einsparungen im Bereich der Suchthilfe lehnen wir ab (siehe auch LDK-Beschluss vom 04.05.24: "Dauerhafte Finanzierung von Suchthilfeträgern und Bedarfsplanung").

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Zusammenhalt sichern