LAG-Beschluss vom 30.07.2020: Grüne Polizei

10.08.20 – von lag.demokratie –

Berlin ist die Stadt der Freiheit. Und wir GRÜNE sind die Partei der Grund- und Menschenrechte. Wir teilen das Sicherheitsbedürfnis aller Berliner*innen, wollen jedoch Grundrechtseingriffe auf das notwendige Maß beschränken. Dabei erfordern neue Herausforderungen in der Inneren Sicherheit passende Antworten. Politik muss dabei von Realitäten ausgehen. Dennoch werden wir diese immer mit dem Blick für den größtmöglichen Erhalt der Freiheit, die Verhältnismäßigkeit und die Wirksamkeit geben. Die Grund- und Freiheitsrechte sind in den letzten Jahren ständig weiter eingeschränkt worden, in Berlin haben wir diese Entwicklung gestoppt.

Wir wehren uns gegen die zunehmende Verwässerung der Gefahrenbegriffe im Polizeirecht. Wir Grüne sehen den Anknüpfungspunkt an der konkreten Gefahr. Wir wollen im ASOG Berlin die Rechtsbegriffe schärfen und Strafverfolgung und Gefahrenabwehr klar voneinander abgrenzen.

Den Schutz der Berliner*innen wollen wir durch nachhaltige Prävention erreichen. Dazu setzen wir beispielsweise darauf, risikobehaftete Orte und Angsträume besser zu beleuchten und einsehbar zu gestalten. Dies schafft an großen Plätzen, Bahnhöfen und verwinkelten Gassen deutlich mehr Sicherheit als jede Kamera. Wir setzen auf soziale Arbeit, z. B. für die Jugend, bei der Drogenhilfe und oder der Deradikalisierung. Die bereits etablierten Projekte sollen ausgebaut, verstetigt und noch mehr Angebote geschaffen werden.

Wir GRÜNE wollen eine politische Gesamtstrategie in der Kriminalitätsbewältigung entwickeln, deren Ziele langfristig beschrieben werden. Dazu wollen wir Schwerpunkte festlegen, die alle gesellschaftlich Verantwortlichen gemeinsam vernetzt umsetzen. Erste Schritte haben wir für den Bereich der Organisierten Kriminalität in der Regierungskoalition 2016-2021 bereits realisiert. Zusätzlich wollen wir die Verfolgung von demokratiefeindlicher- und Hasskriminalität, Straftaten gegen Frauen und Kinder sowie Cyberkriminalität weiter stärken. Wir werden prüfen, wie Kompetenzen bei der Bekämpfung von Straftatengestärkt und effektiver eingesetzt werden können, dafür brauchen Polizei und Justiz klare politische und strategische Linien. Wir setzen dabei auf gut ausgebildetes und ausgestattetes Personal, das seine Schwerpunkte und Gefahrenbereiche kennt. Mehr Präsenz beispielsweise durch Streifen oder Kontaktbereichbeamt*innen, soziale Ansprechpartner*innen wie etwa Streetworker*innen und gezielte Kriminalitätsbekämpfung sollen dabei handlungsleitend sein. Um die Erkenntnislage weiter zu erhellen und diese Gesamtstrategie bestmöglich zu gestalten, wollen wir ergänzend zur Kriminalstatistik einen periodischen Sicherheitsbericht etablieren, der Wissenschaft und Zivilgesellschaft gleichermaßen einbezieht. Die Arbeit der Polizei ist so transparent wie möglich zu gestalten, damit die Berliner*innen polizeiliches Verhalten nachvollziehen können. Wir sind der Überzeugung, dass viele Polizist*inenn gute Arbeit leisten und ihr Handeln sofort erklären können. Ähnlich wie beim Aushändigen beispielsweise eines Durchsuchungsbeschlusses sollen Betroffene einen Nachweis über Polizeimaßnahmen erhalten.

Eine Grundvoraussetzung für bürger*innennahe und zugewandte Sicherheitsarbeit ist ein zeitgemäßes, freundliches und sicheres Arbeitsumfeld für alle Mitarbeiter*innen. Deshalb wollen wir die Infrastruktur für Polizei und Justiz konsequent weiterentwickeln und ausbauen.

Die Ausstattung der Polizei und die Liegenschaften haben sich an ökologischen und klimaschonenden Kriterien zu orientieren. Die Polizei soll CO2 neutral werden. Dabei setzen wir bei den Liegenschaften von Polizei und Justiz verstärkt auf nachhaltigen Neubau sowiedie Modernisierung von Bestandsbauten. Alle Liegenschaften (auch die Übungs- und Schießstätten) sollen modernen Anforderungen an Arbeitsplätze und des Gesundheitsschutzes genügen. Wir wollen die Digitalisierung und Innovation auf allen Ebenen vorantreiben,um die 
polizeiliche Arbeit effektiver zu gestalten. Wir wollen, dass für jede*n Polizist*in immer und jederzeit die erforderliche Ausrüstung (insb.  Schutzausrüstung) und Material vorhanden ist und laufend modernisiert wird. Der Schutz von Leben und Gesundheit von Polizist*innen sowie die Beachtung von ökologischen Kriterien sind bei der Anschaffung zentral. Wir treiben den raschen Wandel der Fahrzeugflotte und Mobilitätskonzepte in der Polizei voran. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf empfinden wir als einen weiteren Eckpfeiler, die Rahmenbedingungen dafür werden wir konsequent erhalten und ausbauen.

Wir GRÜNE wollen Leistung in den Sicherheitsbehörden konsequent fördern und bekennen uns deshalb zu den dafür geschaffenen Prämien, die wir gemeinsam in der Regierungskoalition erstmalig in großem Volumen 2019 ausgeschüttet haben. Wir wollen dieses Instrument verstetigen und weiter verbessern, indem wir beispielsweise die Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei der Verteilung beenden.

Außerdem bekennen wir uns zu Fachkarrieren in der Polizei im gehobenen Dienst; Experten*innenwissen und Spezialisierung müssen sich lohnen. Etablierten Führungskräften muss der Übergang in den höheren Dienst ermöglicht werden. Dies beginnt mit einer an den künftigen Aufgaben ausgerichteten Grundausbildung in Schutz- und Kriminalpolizei an der Hochschule für Wirtschaft und Recht für den gehobenen Dienst und weitere Spezialausbildung, beispielsweise zur Cyberkriminalist*in.

Außerdem wollen wir zur Entlastung des Vollzugsdienstes neben der Digitalisierung insbesondere im Ermittlungsbereich Kriminalassistent*innen 
einführen, die wir mit geeigneten Befugnissen ausstatten und entsprechend ihrer Tätigkeit in den TV-L eingruppieren wollen. Die dafür benötigte Verbesserung der Stellenstruktur streben wir zügig an.

Für uns GRÜNE steht außer Frage, dass unsere Polizist*innen die freiheitlich-demokratische Grundordnung auch dann verteidigen müssen, wenn sie im Inneren der Organisation infrage gestellt wird. Dazu haben wir mit einem Antidiskriminierungsgesetz eine Grundlage geschaffen, das auch Vorgaben für die Weiterbildung enthält und so die Diversitätskompetenz stärkt. Nun müssen die daraus abzuleitenden Schritte erfolgen.

Es gibt Menschen, die sich von der Polizei rechtswidrig behandelt fühlen bzw. werden und denen Vertrauen in die polizeiliche Arbeit fehlt. Dies stellt ein großes Problem dar, da der Rechtsstaat nur funktioniert, wenn der Polizei vertraut wird. Um dem entgegenzuwirken wollen wir ein audrückliches und ausnahmsloses Verbot des "racial profiling" in das Berliner Polizeigesetz aufnehmen. Es kommt aber auch vor, dass Vorwürfe gegen Polizist*innen unberechtigt sind, da viele Beamt*innen unter schwierigen Umständen ihrem Dienst gut und gewissenshaft nachgehen. Gleichzeitig gibt es Konfliktsituationen, in denen es zu polizeilichen Fehlverhalten wie unangemessenen Eingriffen, Diskriminierungen und Rassismus kommt. Diskriminierendes Verhalten und Denkmuster sind bei jedem Menschen vorhanden und in Stresssituationen wird beides wahrscheinlicher. Oft kommt es zu Fehlern aufgrund widriger Umstände, wie Überlastung, Stress oder fehlender Deeskalationsstrategien aus Aus- und Fortbildung. Betroffene und Polizist*innen werden bzw. fühlen sich oft missverstanden und zu Unrecht beschuldigt. Wir wollen dazu beitragen, diese Konflikte zu befrieden. Dazu wollen wir die Situation in Berlin umfassend wissenschaftlich evaluieren, unter anderem extremistische Einstellungen und deren Entwicklung in den Sicherheitsbehörden, um Probleme gezielt angehen zu können. Schon jetzt ist klar, dass wir gerade in der Polizei die Vorbereitung auf kritische Einsätze und deren Nachbereitung stärken müssen, nur so können Konflikte effektiv vermieden werden. Polizist*innen sollen intensiver auf belastende Situationen vorbereitet werden, dazu ist regelmäßiges Training und Weiterbildungen erforderlich. Wir GRÜNE wollen deshalb für Polizist*innen auch zusätzlich einen jährlichen externen Fortbildungsanspruch etablieren, um durch zivilgesellschaftliche Angebote das Band zwischen Polizei und Bürger*innen zu stärken. Es braucht außerdem mehr Raum für Polizist*innen, um Probleme, Belastungen oder auch Fehler offen anzusprechen. Dazu bedarf es einer Fortentwicklung der Fehler- und Nachbereitungskultur in der Polizei, die eine konstruktive Aufarbeitung in den Vordergrund stellt und nicht die Konsequenzen für Einzelne; helfen soll dabei auch die Etablierung von Supervision.

Außerdem ist ein wesentlicher Baustein die auf Initiative der GRÜNEN geschaffene Zentrale Ombudsstelle für Verwaltungs- und Polizeiverhalten (ZOVuP) [vulgo: Bürger und Polizeibeauftragter], die wir in der nächsten Legislaturperiode evaluieren und in Abhängigkeit von den Ergebnissen weiterentwickeln wollen. Dazu gehört auch die Prüfung, ob die vorhandenen Vermittlungsmöglichkeiten und Ermittlungsbefugnisse ausreichend sind.

Wir setzen uns für konsequenten Schutz im digitalen Raum ein, der gerade der Privatsphäre und der Erwartung an die Sicherheit von informationstechnischen Systemen eine wichtige Bedeutung zumisst. Daneben wollen wir die polizeiliche Datenverarbeitung transparenter gestalten. Auch der Prozess der Etablierung neuer Technik, der sich insbesondere an den Grundsätzen der Datenminierung sowie privacy by design und default zu orientieren hat, soll für die Berliner*innen nachvollziehbarer werden. Begleitend ist eine intensive Technikfolgenabschätzung erforderlich, die der Bevölkerung offen steht und externe Personen beteiligt. Nur so kann ein demokratischer Diskurs über polizeiliche Techniknutzung ermöglicht werden. Datenerhebungs- und Datenspeicherungsbefugnisse „auf Vorrat“ lehnen wir ab.

Wir fordern das konsequente Verbot, automatisierte Gesichtserkennung an öffentlichen Orten einzusetzen. Die sog. biometrische Fernidentifikation birgt neben sehr hohen Diskriminierungsrisiken nicht zu rechtfertigende Gefahren für Grund- und Menschenrechte.

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Solides Fundament