LAG-Beschluss vom 30.07.2020: Strafvollzug

10.08.20 – von lag.demokratie –

Unsere Vision beinhaltet weniger Kriminalität in Berlin und deshalb weniger Gefängnisinsassen und zudem eine deutlich bessere Möglichkeit der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Der Strafvollzug bedarf hierfür einer Überarbeitung, die die neusten Erkenntnisse aus der Kriminologie berücksichtigt und zudem nachhaltig ist. Notwendig sind hierfür folgende Maßnahmen:

Resozialisierung 

Der Strafvollzug in Berlin muss weiter verstärkt vor dem Hintergrund der Resozialisierung gestaltet werden. Als einer der wichtigsten Strafzwecke sieht die Resozialisierung die Wiedereingliederung von Menschen in die soziale Gesellschaft vor, nachdem diese straffällig geworden sind.

Strukturen für erfolgreiche Resozialisierung stärken

Nur durch eine wirksame Resozialisierung ist die Bevölkerung effektiv vor Straftaten geschützt. Die derzeitigen Strukturen im Strafvollzug sind derzeit in Teilen nicht ausreichend, um eine wirksame Resozialisierung zu ermöglichen.

Ein erster Schritt ist, die Haftanstalten zu verpflichten, so früh wie möglich mit Hilfseinrichtungen außerhalb des Gefängnisses, zumindest ein Jahr vor der Entlassung, die im Regelfall nach 2/3 der Freiheitsstrafe erfolgen muss, Kontakt aufnehmen, um ein wirksames Übergangsmanagement sicherzustellen. Kriminologische Forschungen zeigen, dass gerade das im ersten Jahr nach der Entlassung das  Rückfallrisiko hoch ist und die Gefangenen daher unterstützt werden sollten.

Deshalb müssen zunächst alle Akteure wie die Straffälligen-, Bewährungshilfe, Jugendgerichtshilfe und Strafvollzugsanstalten besser vernetzt und die dabei ein gemeinsames Resozialisierungskonzept verfolgt werden.

Erfolgreiche Resozialisierung setzt zudem entsprechende Unterstützung und Schulung des Personals voraus. Deshalb sind die Karrieremöglichkeiten im Strafvollzug zu verbessern (Schaffung gehobener Laufbahn im allgemeinen Vollzugsdienst). Hierfür ist auch der Personalaustausch zwischen Gefängnis und der Justiz zu ermöglichen, etwa von Sozialarbeiter*innen, Verwaltungsbeamt*innen, Psychlog*innen, Vollzugspersonal (Wachpersonal bei Gericht), die auch außerhalb des Gefängnisses eingesetzt werden sollten. Der dauerhafte Aufenthalt in Haft belastend sein kann und auch das Bild auf die Gesellschaft verfälscht. Wir haben im Vollzug einen hohen Krankenstand, dem man auch durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen entgegenwirken wird. Dazu gehört aber auch, dass man neben dem Vollzug noch weitere Einsatzmöglichkeiten erhält, da so auch die Motivation erhöht werden kann.

Auch das Zusammenwirken auf behördlicher Ebene ist zu stärken. Dabei muss auf jeder Ebene geschaut werden, wie der Resozialisierungsprozess gefördert werden kann, möglichst unter der Vermeidung einer Haftstrafe. Durch Absehen von Haftstrafen lassen sich im Übrigen auch kriminelle Strukturen, wie etwa rechtsextreme Straftaten, besser erkennen. Dafür werden wir in Berlin ein Resozialisierungsgesetz vorlegen, welches alle Akteure wirksam vernetzt und ihre Zuständigkeit klar regelt, wobei hohe datenschutzrechtliche Standards einzuhalten sind, um die Rechte der Betroffenen wirksam zu schützen.

Resozialisierung innerhalb des Gefängnisses

Wir wollen die Maßnahmen zur Förderung der Resozialisierung innerhalb der Gefängnisse insgesamt stärken. Dazu zählt, sicherzustellen, dass Kontakt nach außen ermöglicht wird, da dies die Gefangenen darin unterstützt, sich nach der Entlassung möglichst schnell wieder in die Gesellschaft eingliedern zu können. Zudem sind Bildungs- und Qualifikationsmaßnahmen im Vollzug auszubauen. Hierzu zählt auch die Möglichkeit, dass die Gefangenen mehr Angebote erhalten, Deutsch zu lernen. Ein moderner Justizvollzug findet in modernen Räumen statt. Daher wollen wir die Berliner Gefängnisse sanieren und die bauliche Struktur flächendeckend auf moderne Standards heben. Dabei sind die ökologischen Aspekte, die sich aufgrund der Nähe von Arbeit und Wohnen in den Justizvollzugsanstalten bieten, zu nutzen.

Zugang zum offenen Vollzug verbessern

Dies gelingt bereits jetzt wesentlich besser im offenen Vollzug. Erfolgreiche Projekte wie der offene Vollzug müssen beibehalten werden. Dazu soll die Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung prüfen, wie der Zugang zum offenen Vollzug für geeignete Gefangene verbessert werden kann.

Kommunikationsmöglichkeiten stärken

Zudem müssen für Gefangene, die (noch) nicht für den offenen Vollzug geeignet sind, die Kommunikationsmöglichkeiten nach außen verbessert werden. Dazu sind erfolgreiche Projekte – wie etwa das Projekt der Senatsverwaltung “Resozialisierung durch Digitalisierung” (Internet im Strafvollzug) – dauerhaft zu etablieren und neben den bereits gesenkten Telefontarifen auch Flatrate-Modelle zu etablieren, damit sich die Gefangenen das Telefonieren auch leisten können. Es gibt keinen Grund, Gefangenen, bei denen ein Missbrauch nicht zu befürchten ist, die Nutzung des Internets zu untersagen. Das gilt nicht zuletzt, da die Eingliederung in die Gesellschaft ansonsten nahezu unmöglich ist: der Umgang mit dem Internet wird mittlerweile in allen gesellschaftlichen Bereichen verlangt. Darüber hinaus gewährleistet auch nur eine klar geregelte Internetnutzung die effektive Umsetzung des Grundrechts auf Informationsfreiheit im digitalen Kommunikations- und Informationszeitalter. Auch wollen wir Besuche über Videotelefonie weiter ausbauen.

Resozialisierung außerhalb des Gefängnisses

Resozialisierung findet jedoch überwiegend in Freiheit statt. Egal wie gut die Voraussetzungen für die Resozialisierung in Haft geschaffen werden, sie müssen auch außerhalb der Haft ein Äquivalent finden, da sonst die Resozialisierung nicht erfolgreich sein wird; schließlich integriert man sich nach der Entlassung in die Gesellschaft und nicht davor.

Daher sind die Bewährungshilfe und die freien Träger der Straffälligenhilfe weiter konsequent zu stärken, damit außerhalb des Vollzuges die Resozialisierung von straffälligen Menschen weiterhin effektiv umgesetzt und verbessert werden kann.

Neben bereits in der Praxis etablierten Projekten wollen wir auch neue Projekte umsetzen und dabei auf neue und erfolgreiche Ansätze zurückgreifen, um auch in Berlin die Rückfallraten langfristig und nachhaltig zu reduzieren, etwa durch eine stärkere Einbindung von Externen im Vollzug. Im Ausland haben sich Ansätze, bei denen ehemalige Inhaftierte in die Straffälligenhilfe integriert worden sind, als sehr wirksam erwiesen. Diese Menschen haben einen ganz anderen Zugang zu Menschen, die Straftaten begehen und können viel konkretere Ratschläge geben als Menschen, die selbst diese Erfahrung nicht gemacht haben. Sie können daher eine sehr gute Ergänzung zu der bestehenden sozialen Arbeit sein. Entsprechende Projekte sind daher in Berlin zu etablieren.

Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen erhöhen

Für eine Freiheitsentziehung auf Grund gerichtlicher Entscheidung gewährt der Staat eine Entschädigung, sofern die Freiheitsentziehung letztlich zu Unrecht erfolgt ist, das heißt, wenn in einem Strafverfahren ein Freispruch oder die Einstellung des Verfahrens erfolgt ist oder die Eröffnung der Hauptverhandlung abgelehnt wurde.

Diese Pauschale wurde im Jahre 2009 von € 11 auf € 25 erhöht. Eine weitere Anpassung ist in den Folgejahren nicht erfolgt. Diese Entschädigung erachten wir für zu gering! Es ist aus unserer Sicht dringend geboten, eine Erhöhung alsbald herbeizuführen, nachdem nunmehr bereits seit über zehn Jahren keine Anpassung erfolgt ist. Wir begrüßen, dass auf Initiative des Bundesrates im Bundestag derzeit eine deutliche Erhöhung der Entschädigung für zu Unrecht erfolgte Strafverfolgungsmaßnahmen auf € 75 auf den Weg gebracht wird. Wir werden uns 
dafür einsetzen, dass dieser Betrag weiter erhöht wird. . Nur so kann dem Genugtuungs- und Anerkennungsgedanken des § 7 Abs. 3 StrEG angemessen Rechnung getragen werden.

Mehr Fortbildung von Richter*innen in Strafvollstreckungskammern

Lange Gefängnisaufenthalte sind nicht nur teuer, sondern erschweren es den Menschen, sich in wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Daher wollen wir die vorzeitige Entlassung zur Zwei-Drittel- / Halb-Strafe steigern, die in Berlin noch viel zu wenig thematisiert wird. Richter*innen müssen besser auf die Arbeit in den Strafvollstreckungskammern vorbereitet werden, etwa im Rahmen von Fortbildungen mit kriminologischem Inhalt. Auch müssen die Gefängnisse ausreichende Bedingungen schaffen, damit eine vorzeitige Entlassung möglich ist.

Alternativen zur Ersatzfreiheitsstrafe schaffen

Zudem braucht es Alternativen zur Ersatzfreiheitsstrafe, um diese möglichst zu vermeiden. So sind neue Ansätze der Straffälligenhilfe zu stärken und Ideen aus anderen Ländern aufzugreifen. Hierzu zählt Projekte wie „Arbeit statt Strafe“ weiter auszubauen. Das Land Berlin hat aufgrund dieses Projektes 2018 elf Millionen Euro eingespart und es gibt noch weiteres Einsparpotenzial, wenn Gefängnisstrafen vermieden werden. Ersatzfreiheitsstrafen sollen nur in absoluten Ausnahmefällen stattfinden, da die mit der Strafe verfolgten Zwecke, zum Beispiel Resozialisierung, während dieser kurzen Zeit nicht erreicht werden können.

Im Bundesrat auf eine Übergangsregelung zur Ersatzfreiheitsstrafe hinwirken

Zwei Tagessätze einer Geldstrafe, der nicht geleistet werden kann, soll in einen Tag Freiheitsstrafe umgewandelt werden. Der Freiheitsentzug trifft sie wesentlich härter als die Zahlung eines Geldbetrages. Gleichzeitig werden durch den Vollzug dieser Ersatzfreiheitsstrafe auch Ressourcen der Justiz verschwendet, die eigentlich für die Resozialisierung von Menschen zu Verfügung stehen sollten, die schwere Delikte begangen haben. Daher sollte ein Tag Haft zwei Arbeitstagen entsprechen. Die Haftstrafe und die Kosten wären damit halbiert.

Neue Ansätze der Konfliktbeilegung prüfen und voranbringen

Wir wollen Konflikte, die zu Straftaten führen, möglichst nachhaltig lösen. Dazu gibt es in verschiedenen Ländern bereits Ansätze, die unter dem Begriff Restorative Justice zusammengefasst werden. Hier geht es darum, Konflikte im Dialog zu lösen und dauerhaft zu befrieden. In Deutschland gibt es dies bereits in Form des Täter*innen-Opferausgleichs. Diesen wollen wir stärken und prüfen, inwieweit Ansätze von Restorative Justice in die Justiz integriert werden können.

Kategorie

Solides Fundament