Zweites Webinar im April: Justiz in Zeiten von Corona

04.05.20 –

Am 8. April haben wir unsere Webinar-Reihe mit dem Thema Justiz und Corona fortgesetzt. Darüber haben wir mit Petra Vandrey, MdA und rechtspolitische Sprecherin der GRÜNEN Fraktion im Abgeordnetenhaus und der Strafverteidigerin Ria Halbritter gesprochen.
Wir haben zuerst die aktuelle Situation an den Berliner Gerichten, bei der Staatsanwaltschaft und in der Anwaltschaft diskutiert, bevor wir uns mit den Auswirkungen der Epidemie auf den Strafvollzug auseinandergesetzt haben. Am Schluss haben wir darüber gesprochen, was wir aus der momentanen Situation für die Zukunft lernen können.

Die ​Gerichte​ befinden sich derzeit im Notbetrieb und es gibt kaum Verhandlungen. Die zentralen Verfahrensgrundsätze der Öffentlichkeit und Beschleunigung sind stark eingeschränkt. Die (vor allem digitalen) Ressourcen, die es bräuchte, um weitergehend auf Home-Office umzustellen, sind eher unterentwickelt. Bestimmte Bereiche sind kaum mit den Infektionsschutzmaßnahmen vereinbar, das gilt etwa für das Strafprozessrecht. Ria sagte dazu: „Das müsste neu geschrieben werden“. Vereinzelt gibt es positive Nebeneffekte: In zivilrechtlichen Verfahren steigt die Bereitschaft zu Vergleichen und der Haftgrund der Fluchtgefahr wird maßvoller gehandhabt. Aber: Der effektive Rechtsschutz ist sehr stark eingeschränkt. Deshalb ist klar, dass die Situation so nicht aufrechterhalten werden kann. Es ist deutlich geworden, dass jetzt Lösungen dafür gefunden werden müssen, um für die kommenden Monate gerüstet zu sein.

Die Situation in der ​Strafvollstreckung ​ist für Beschäftigte und Gefangene sehr schwierig. Kontaktbeschränkungen aus Infektionsschutzgründen bedeuten dort: Vieles, was das Leben in Haft erträglicher macht, fällt weg – Arbeit, Therapien, Sport, Besuche. Als Ausgleich wurden die Telefon- und Skypemöglichkeiten ausgeweitet, wobei es auch hier noch Umsetzungsschwierigkeiten gibt. Neben diesen Einschränkungen besteht bei den Gefangenen große Sorge vor einem Ausbruch von Covid-19 im Gefängnis. Viele sind Risikopatient*innen und die Behandlungsaussichten scheinen vielen unklar. Das Gefängniskrankenhaus hat ein Beatmungsgerät und viele sorgen sich vor negativen Entscheidungen in Triage-Situationen. Die Strategie ist, jegliche Erkrankung im Gefängnis durch strenge Hygiene-Auflagen zu vermeiden und Erkrankte schnell in der eigenen Zelle zu isolieren. Die Ersatzfreiheitsstrafe in Berlin wurde ausgesetzt: Hier geht es um Leute, die in Haft sind, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlt wurde. Wo möglich, sind Gefangene im offenen Vollzug. Insgesamt sollten auch in diesem Bereich die Maßnahmen nicht länger als unbedingt nötig aufrechterhalten werden. Es gibt massive Einschnitte bei den Gefangenenrechten, die die Resozialisierung deutlich erschweren. Vor allem der fehlende Kontakt zur Außenwelt fällt hier ins Gewicht.

Zusammenfassend​ haben wir festgehalten, dass jetzt die datenschutzkonforme Digitalisierung der Justiz überall, wo das möglich ist, beschleunigt werden muss. Hier besteht insbesondere in Berlin Nachholbedarf. Außerdem sollten jetzt schnell umsetzbare Strategien entwickelt werden, wie man einen geordneten und sicheren Justizbetrieb gewährleisten kann, wenn uns die Epidemie noch länger begleitet.

Dass jetzt in vielen Fällen auf Haftstrafen verzichtet wird, gibt außerdem Anlass, für die Zukunft noch einmal grundsätzlicher über Zwecke von und Alternativen zu Gefängnisstrafen zu reflektieren. Das wollen wir auch in der LAG gerne aufgreifen.