Für eine risikobewusste Kooperation mit China in Berlin!

16.10.24 –

Beschluss auf dem Landesausschuss:

Die Volksrepublik China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner und ein Wettbewerber. Die Zusammenarbeit mit China ist essentiell für die globalen Bemühungen zur Bekämpfung der Klimakrise. Darüber hinaus existieren zahlreiche Kooperationen zwischen deutschen und chinesischen Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie Kultureinrichtungen. Für Berlin ist China der zweitgrößte Handelspartner. Das Land Berlin ist seit April 2018 mit einer Wirtschaftsvertretung, dem "Business Liaison Desk China" in Peking vertreten und seit 1994 unterhält die Stadt Berlin eine Städtepartnerschaft mit der Stadt Peking. 2024 steht im Zeichen des 30-jährigen Jubiläums dieser Partnerschaft.

Gleichzeitig ist China für Deutschland auch systemischer Rivale. In den letzten 30 Jahren seit Abschluss der Berliner Partnerschaft mit Beijing wurde die chinesische Innenpolitik immer autoritärer und Chinas Außenpolitik zunehmend aggressiver. Die Volksrepublik richtet ihre Kooperationsbeziehungen so aus, dass sie selbst in strategisch wichtigen Bereichen immer unabhängiger wird, während ihre Partner immer abhängiger von ihr werden. Erzwungener Technologietransfer dient, unter anderem, der Marktverdrängung von wirtschaftlichen Wettbewerbern. Auch lokale Kooperationskanäle in Wirtschaft, Forschung und Kultur werden von der chinesischen Regierung explizit dazu genutzt, um ihre politische Agenda durchzusetzen.

Lange haben Naivität und die bewusste Priorisierung von intensiven Handelsbeziehungen die deutsche Chinapolitik dominiert. Eine offizielle Kurskorrektur erfolgte auf Bundesebene erstmalig 2023 mit der China-Strategie der Bundesregierung. Auch auf Landes- und Bezirksebene muss ein risikobewusster, strategischer Umgang mit chinesischen Partnern Einzug halten, um wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten zu reduzieren und politische Aktivist*innen in Berlin zu schützen. Sogenannte subnationale Verflechtungen auf landes- und bezirkspolitischer Ebene sind bisher ein politischer blinder Fleck. Dem möchten wir entgegenwirken.

 

Für Menschenrechte und Demokratie einstehen

Ein weltoffenes, demokratisches Berlin muss bei seiner Kooperation mit China für Menschenrechte einstehen. Der Regierende Bürgermeister und der Berliner Senat dürfen die Menschenrechtsverbrechen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) nicht ignorieren. In Berlin kommt es immer wieder zu Fällen von Einschüchterung und Bedrohung von Regimekritiker*innen. Der Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen und Unterstützer*innen der chinesischen Demokratiebewegung muss Priorität haben. Deswegen sollte Berlin bei der Bekämpfung von transnationaler Repression bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen.

  • Der Berliner Senat sollte in seiner Kommunikation zur Städtepartnerschaft mit Peking stets auf die Menschenrechtslage in China hinweisen. Dies tut z.B. Köln – ebenfalls Partnerstadt von Peking – auf seiner Website.
  • Der Regierende Bürgermeister sollte sich regelmäßig (mind. einmal pro Jahr) und öffentlichkeitswirksam mit NGOs, die sich mit   Menschenrechtsfragen zu China beschäftigen, treffen, um sich über die Menschenrechtslage in Peking/China zu informieren (siehe Köln).
  • Bei Reisen der Senatsspitze nach China sollten China-Expert*innen und Menschenrechts-NGOs vorab informiert und konsultiert werden (siehe Köln).
  • Der Berliner Senat sollte die Staatsschutz-Stelle des LKA oder das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz finanziell ausstatten, um Fälle transnationaler Repression besser zu erfassen und zu bekämpfen.

 

Außerdem sollte sich Berlin solidarisch an die Seite derjenigen Länder, Städte und Regionen stellen, die von China außenpolitisch bedroht und deren demokratische Systeme von China destabilisiert werden. Dies betrifft neben den chinesischen Drohgebärden im südchinesischen Meer auch wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen Staaten wie Litauen und Australien und den Widerstand Chinas gegen eine Städtepartnerschaft zwischen Prag und Taipei. Insbesondere gilt dies aber für die Destabilisierung des demokratischen Taiwan. Das Land Berlin muss deutlich machen, dass eine Änderung des Status Quo in der Taiwan- Straße nicht gegen den Willen der Menschen in Taiwan erfolgen darf.

  • Der Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus sollten den Austausch zu anderen Städten und Regionen suchen, in Deutschland und weltweit, die sich chinesischen Drohungen und Zwangsmaßnahmen ausgesetzt sehen, und sich solidarisch positionieren.
  • Der Berliner Senat, das AGH und die Bezirke sollten im Rahmen der deutschen Ein-China-Politik einen engen Austausch mit Städten, Gemeinden und Landkreisen in Taiwan sowie der taiwanesischen Zivilgesellschaft und Wirtschaft anstreben. Dies beinhaltet den Abschluss neuer Partnerschaften mit Counterparts in Taiwan

 

Wirtschaftliche Risiken minimieren

Die engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Deutschland und Berlin einerseits sowie China andererseits haben in manchen Bereichen zu einseitigen Abhängigkeiten geführt, die nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische und gesellschaftliche Risiken bergen. Das wird insbesondere im Automobilsektor oder auch bei Komponenten für die Energiewende wie etwa Batterien, Solarmodulen, Mikrochips und Seltenen Erden deutlich. In einigen Fällen besteht die Gefahr von Technologietransfers, die auch für militärische Zwecke genutzt werden können. Um unsere wirtschaftliche Sicherheit und Resilienz zu stärken, bedarf es deshalb einer klaren Strategie zur Risikominimierung, die nicht allein den Unternehmen überlassen werden darf. Nicht jede Investition in oder Handel mit China ist systemkritisch oder erhöht unsere wirtschaftliche und politische Abhängigkeit. Durchaus sinnvoll ist es jedoch, strategische Bereiche gemeinsam zu identifizieren, die zu einseitigen Abhängigkeiten oder zu einem handfesten Sicherheitsrisiko für Deutschland werden können, insbesondere im Bereich der kritischen Infrastruktur, der Gesundheit oder bei Dual-Use-Gütern. Solche strategischen Abhängigkeiten müssen systematisch abgebaut werden, auch durch eine gezielte Diversifizierung der Berliner Außenhandelsbeziehungen.

  • Ein Sachverständigenrat, der sich aus Expert*innen, Vertreter*innen von Ministerien und Parlament, der Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden zusammensetzt, könnte ein erster Schritt sein, um das Thema breit zu verankern und zu diskutieren und gemeinsam statt gegeneinander einen einheitlichen Umgang zur weiteren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit China zu etablieren.
  • Eine Strategie zur Minimierung des Risikos einseitiger Abhängigkeiten von China muss auch alternative Märkte und Anreize für Unternehmen anbieten. Daher sollte Berlin mittelfristig seine Aktivitäten im Rahmen des "Berlin Business Desk China" zurückfahren und die Kategorisierung von China als eines von zehn Zielländern für die Berliner Akteure der Internationalen Wirtschaftskooperation auf den Prüfstand stellen. Stattdessen sollten das Land Berlin und die Berliner Bezirke Unternehmen gezielt dabei unterstützen, ihre Außenhandelsbeziehungen zu diversifizieren. Dafür sollten relevante Länder u.a. im Indopazifik-Raum als neue Zielländer der Berliner Wirtschaftskooperation definiert werden und neue Business Desks in relevanten Märkten aufgebaut werden.
  • Um die eigene wirtschaftliche Stärke und Resilienz zu fördern, sind ein attraktives Investitionsklima sowie Innovation und positive Forschungsbedingungen entscheidend. Hier sollte Berlin zeigen, dass es in der Lage ist, wichtige Industrien und Wissenschaftler*innen vor Ort zu halten und zu fördern.
  • Das Land Berlin sollte seine öffentliche Beschaffung so ausrichten, dass die genannten strategischen Überlegungen, soziale und ökologische Fragen sowie menschenrechtliche Bedenken berücksichtigt werde. Dies betrifft explizit auch alle Beschaffungen die im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Verwaltung stehen.

 

Forschung und Ausbildung unabhängig halten

China-Expertise wird von der Politik bis hin zu Wirtschaft und Wissenschaft oft beschworen, muss jedoch auch gefördert und strategisch aufgebaut werden. Wir brauchen dazu vor allem junge Menschen, die Chinesisch sprechen, Aufenthalte in China absolvieren, das Land und die Kultur kennen. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur kulturellen Verständigung und Annäherung. Gleichzeitig ist unabhängige China-Expertise unabdingbar, um aktuelle Entwicklungen in China zu analysieren und einzuordnen, problematische Trends zu identifizieren und die Politik zu beraten. Die risikobehaftete Beziehung zur Volksrepublik muss so gesteuert werden, dass illegitime Aktivitäten der KPCh erkannt und angegangen werden.

  • Zu diesem Zweck sind unabhängige China-Forschung, Sprach- und Austauschprogramme erforderlich. Sprachkurse und Austauschprogramme müssen unabhängig von chinesischen Trägern absolviert werden können, um die politische Unabhängigkeit zu gewährleisten.

 

Darüber hinaus unterhalten Berliner Universitäten, Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen Kooperationsprojekte mit Institutionen in China. Diese können dem Gewinn neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse dienen und im beidseitigen Interesse sein. Allerdings nutzt die chinesische Regierung solche Forschungskooperationen auch für Wissenstransfers zu Chinas Gunsten und für technologische Fortschritte in kritischen – auch militärischen – Bereichen. Kooperationen von Berliner Wissenschaftseinrichtungen mit Institutionen in China dürfen nicht zu Technologietransfers in kritischen Bereichen führen.

  • Forschungseinrichtungen und Hochschulen sollten das finanzielle Ausmaß, das von chinesischer Seite über Kooperationen getragen wird, anonymisiert transparent machen und ins Verhältnis zur Gesamtfinanzierung sowie anderweitiger Drittmittelfinanzierung stellen.
  • Der Berliner Senat sollte Universitäten bei Kooperationen mit autoritären Regimen wie China zu maximaler Transparenz verpflichten. Sämtliche Kooperationen – mit oder ohne Zahlungsflüssen – sollten anonymisiert zentral erfasst werden.
  • Der Berliner Senat soll im Dialog mit den Berliner Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen, zentrale beratende Stellen einrichten und bereits bestehende Strukturen festigen, welche potentielle Kooperationen mit autoritären Regimen wie China vor deren Beginn überprüfen – insbesondere in Hinblick auf Dual-Use-Technologien.
  • Der Berliner Senat sollte außerdem auf Berliner Hochschulen sensibilisieren, ihre bestehenden Kooperationen mit problematischen parteistaatlichen oder staatsnahen Organisationen Chinas zu beenden.
  • Dazu gehört insbesondere die Rolle des Konfuzius-Instituts an der Freien Universität Berlin. Konfuzius-Institute sind Teil der Einheitsfront- Strategie der Kommunistischen Partei. In der Vergangenheit sind an deutschen Konfuzius-Instituten Fälle von Selbstzensur aufgetreten, kritische Veranstaltungen finden quasi nicht statt. Der Berliner Senat sollte mit der Freien Universität Berlin unter Wahrung der Hochschulautonomie in den Dialog über die Zukunft der Konfuzius-Institute treten.
  • Der Berliner Senat sollte gemeinsam mit den Berliner Universitäten und Forschungseinrichtigungen Strategien zur alternativen Finanzierung des potentiellen Doktorand*innenpools erarbeiten, um Abhängigkeiten vom China Scholarship Council (CSC) auszuschließen. Die Rückkehrpflicht der CSC- Stipendiat*innen nach China ist aufgrund des Technologietransferrisikos (u.a) problematisch. Sie sind vertraglich dazu verpflichtet, der chinesischen Botschaft über ihre Aktivitäten zu berichten. Dies führt zu einem hohen Risiko hinsichtlich des Abflusses von Wissen zu kritischen Technologien sowie Spionage-Aktivitäten für chinesische Sicherheitsbehörden sowie sozialer Kontrolle unter den Stipendiat*innen, die hier eigentlich frei forschen, arbeiten und leben wollen.

 

Sensibilisieren und Expertise zugänglich machen

Kooperationsgeflechte mit China finden sich breitgefächert in Forschung, Wirtschaft und Kultur. An den entsprechenden Stellschrauben bedarf es der weiteren Sensibilisierung von Bezirks- sowie Senatsmitarbeiter*innen im Umgang mit ihren chinesischen Partnern.

  • Mitarbeiter*innen in den Bezirken, im Senat und in Berliner Forschungseinrichtungen sollten hinsichtlich der Zusammenarbeit mit chinesischen Pendants sensibilisiert und geschult werden. Ein sinnvoller Anknüpfungspunkt ist hier die Ausbildung vor dem Antritt des Arbeitsverhältnisses, unter anderem in den Beamtenhochschulen. Wir empfehlen eine solche Sensibilisierung grundsätzlich für den Umgang mit autoritären Staaten.
  • Hierfür ist es wichtig, Best Practices zu sammeln und in entsprechenden Lehrformaten zu vermitteln. Hier bietet sich die Einrichtung eines "China- Desk" als eigenständige Einheit aufgehangen im Senat, aber unabhängig von den einzelnen Senatsverwaltungen an, wo potentielle Fälle der Einflussnahme oder anderweitiger illegitimer Aktivitäten wie Spionageversuche, Propaganda und repressives Verhalten sowie Einschränkungen bei der unabhängigen Veröffentlichung in wissenschaftlichen Publikationen gemeldet werden können.
  • Ein solches China-Desk könnte ebenfalls als Expertisehub für die Verwaltungsmitarbeiter*innen dienen, wo China-Expertise von Sinolog*innen, Politikwissenschaftler*innen, Jurist*innen und Wirtschaftswissenschaftler*innen gebündelt wird. Es sollte für alle Senatsverwaltungen eine Konsultationsempfehlung mit dem China-Desk ausgesprochen werden. Über eine solche Konsultationsempfehlung hinaus sollte das China-Desk anhand einer "Open-Door-Policy" arbeiten – bei Zweifeln sollten Mitarbeiter*innen aus den Bezirken sowie den Senatsverwaltungen explizit angehalten werden, jederzeit an die Expert*innen des Desks heranzutreten. Jene Dienste sollen explizit auch für Vereine und Firmen in Berlin geöffnet werden.
  • Eine solche dezidierte Stelle sollte Anfragen von chinesischer Seite bündeln, koordinieren und gemeinsam beantworten. Ein Beispiel hierfür ist die Hansestadt Hamburg, wo jede chinesische Anfrage von einer Behörde gesammelt und koordiniert wird, um so sicherzustellen, dass der Hamburger Senat eine einheitliche Antwort gibt.

 

Vernetzung zwischen Ländern und Kommunen fördern

Die 2023 entwickelte China-Strategie der Bundesregierung war ein großer und wichtiger Schritt auf bundespolitischer Ebene. Ein entscheidender Teil der Umsetzung dieser Strategie hat jedoch auf Landes-, Bezirks- sowie Kommunalebene zu erfolgen. Hier lässt sich leider beobachten, dass ein Mangel an Koordination unter Ländern und Kommunen zu einer risikoerhöhenden Konkurrenzsituationen um chinesische Investitionen und Kooperationsmöglichkeiten führt. Die chinesischen Behörden nutzen dies ganz bewusst, indem Anfragen und Ansuchen an mehrere Landes- und Kommunalbehörden geschickt werden und somit künstlich die Konkurrenzsituation noch angeheizt wird. Dadurch wird gleichzeitig auch das Ausmaß subversiver Aktivitäten oftmals nicht deutlich, da sich Länder, Kommunen, aber auch entsprechende Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Landesebene nicht ausreichend über ihre Erfahrungen austauschen. Aus solchen Erfahrungen lassen sich jedoch Strategien entwickeln. Gerade für kleinere Kommunen, wo es schwieriger ist, dezidierte China-Kompetenz in den eigenen Strukturen zu verankern, ist ein Austausch mit größeren und ressourcenstärkeren Kommunen entscheidend.

  • Wie oben erwähnt, sollte ein neu eingerichtetes China-Desk entsprechende Anfragen aus Bezirken und Senat bündeln. Bis dahin sollten grün-geführte Bezirke mit gutem Beispiel vorangehen und gezielt Erfahrungen austauschen. Hierfür könnten Arbeitsgruppen gebildet werden.
  • Berlin sollte als Vorreiter den Austausch unter den Landesregierungen suchen, fördern und an der Systematisierung und Verstetigung in den geeigneten Foren arbeiten. In bestehenden Foren im bundesdeutschen, europäischen und internationalen Kontext sollte Berlin das Thema China immer wieder auf die Tagesordnung bringen und proaktiv eigene Best- Practices und Erfahrungen aus dem Senat und den Bezirken mit anderen Ländern und Kommunen teilen. Berlin sollte explizit auf andere Bundesländer und Kommunen (auch im Ausland) zugehen, die an einer Professionalisierung ihrer Zusammenarbeit mit China arbeiten.
  • Berlin sollte sich für die Einrichtung eines Kompetenzzentrums analog zum niederländischen "China Knowledge Network" einsetzen, das die Kommunal- und Städteverwaltungen in ihren Beziehungen zu China unterstützt. Hier könnten man auch auf niederländische Partner*innen zugehen und explizit den Austausch suchen.

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Solides Fundament