MentalHealthMatters! Mentale Gesundheit in Schulen stärken

30.11.24 –

Beschluss auf der Landesdelegiertenkonferenz:

 

Definition und ganzheitlicher Ansatz von Mentaler Gesundheit in Schulen

Es gibt keine Gesundheit ohne mentale Gesundheit! Mentale Gesundheit wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als "Zustand des Wohlbefindens" definiert, "in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten kann" (WHO 2019). Dieses Wohlbefinden hängt nicht nur von individuellen Faktoren ab, sondern wird maßgeblich durch die "sozialen Umstände" und die "Umgebung", in der Menschen sich bewegen, beeinflusst (WHO 2019). Für uns als Bündnis90/Die Grünen Berlin ist klar: Gesundheit bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern umfasst das gesamte Wohlbefinden einer Person und befähigt uns, uns emotionalen, sozialen und körperlichen Herausforderungen zu stellen.

Schulen spielen hierbei eine zentrale Rolle, da sie für viele junge Menschen das wichtigste soziale Umfeld darstellen. Mitschüler*innen, Lehrkräfte und die gesamte Schulgemeinschaft prägen das tägliche Leben von Kindern und Jugendlichen. Wenn das soziale Umfeld einen entscheidenden Einfluss auf das Wohlbefinden hat, bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes zur Förderung der mentalen Gesundheit an Schulen. Alle Beteiligten – Schüler*innen, Lehrkräfte und Eltern – müssen hierbei mitgedacht werden. Lehrkräfte sind Vorbilder für ihre Schüler*innen und sollten daher in der Lage sein, auf ihre eigene Gesundheit zu achten. Eltern wiederum sind für den Lernerfolg und die Entwicklung der jungen Menschen entscheidend. Auch sie sollten Unterstützung durch die Schule erfahren. Zudem braucht es an den Schulen Fachkräfte wie Schulsozialarbeiter*innen und Schulpsycholog*innen, die gezielt das Thema mentale Gesundheit betreuen und alle Beteiligten dazu befähigen.

Das Berliner Schulgesetz gibt den Schulen den Auftrag, den verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Gesundheit und der Gesundheit anderer zu vermitteln. Es heißt: „Schulische Bildung und Erziehung sollen die Schülerinnen und Schüler insbesondere befähigen, [...] ihr zukünftiges privates, berufliches und öffentliches Leben in Verantwortung für die eigene Gesundheit und die ihrer Mitmenschen auszugestalten, Freude am Leben und am Lernen zu entwickeln.“ Diesen Auftrag möchten wir als Bündnis90/Die Grünen Berlin endlich in der Realität der Berliner Schulen umsetzen.

 

Wie verbessern wir die mentale Gesundheit an Schulen?

Für uns als Grüne ist klar: Die Verbesserung der mentalen Gesundheit in Schulen erfordert grundsätzliche Veränderungen im Schulsystem. Der kürzlich veröffentlichte Kinderund Jugendbericht der Bundesregierung (2024) nennt als ein Ergebnis aus der Befragung von Jugendlichen: "Die gesamte Struktur des Schulsystems scheint für einige junge Menschen eine Herausforderung darzustellen."

Ein zukunftsfähiges Schulsystem muss Lernen und Unterricht neu denken. Der Rahmenlehrplan sieht bereits vor, dass gesundheitsfördernder Unterricht "individualisiert gestaltet ist, Kooperation fördert und zugewandte Unterstützung bietet". Uns ist bewusst, dass die gegenwärtigen Bedingungen, unter denen Lehrkräfte in Berlin arbeiten, wenig Zeit und Energie für grundlegende Veränderungen im Unterrichtsalltag bieten. Dennoch sind wir als Grüne überzeugt, dass diese langfristig notwendig sind, um gesundes Lernen zu gewährleisten und dafür die Förderung von mentaler Gesundheit und Resilienz in den Vordergrund zu stellen.

Doch auch im Hier und Jetzt können bereits Maßnahmen ergriffen werden, um die mentale Gesundheit in den Schulen zu stärken.

 

Kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der mentalen Gesundheit

Anhaltender Stress wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus und kann zum Entstehen von körperlichen und psychischen Erkrankungen beitragen. Es bedarf daher einer Auseinandersetzung mit und besonderen Aufmerksamkeit für die vielfältigen Facetten von Stress im Schulalltag im Sinne einer "Stresskompetenz" des gesamten Bildungssystems. Um kurzfristig Stress im Schulalltag abzubauen, sind neben strukturellen auch individuelle Maßnahmen wie z.B. Bewegung, Achtsamkeitseinheiten und ausreichende Pausen von zentraler Bedeutung. Qualifizierte externe Anbieter können Schulen und Lehrkräfte dabei unterstützen, eigene Rituale für den Schulalltag zu entwickeln. Als Grüne wollen wir uns dafür stark machen, dass evidenz-basierte Angebote langfristig finanziell abgesichert werden, um eine nachhaltige Wirkung zu entfalten. Wir setzen uns außerdem für den Aufbau einer bundesweiten Datenbank ein, über die Schulen unkompliziert mit solchen potenziellen Anbieter*innen in Kontakt treten können.

Bei bereits bestehenden Beeinträchtigungen müssen der Austausch und die Übergänge zwischen Schulen und außerschulischen Hilfesystemen wie dem Jugendamt, den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten oder dem Schulpsychologische und Inklusionspädagogische Beratungs- und Unterstützungszentren (SIBUZ) verbessert werden. Oft gelangen betroffene Schüler*innen zu spät in Hilfeeinrichtungen, sodass die Beeinträchtigung schon sehr weit fortgeschritten ist. Als Grüne sind wir überzeugt: Eine obligatorische Gesundheitsuntersuchung der Schüler*innen sollte unter Einbezug der psychischen Gesundheite langfristig als Standard sowohl in der Grundschule als auch in der Oberschule eingeführt werden. Diese sollten - analog zu den Schuleingangsuntersuchungen - durch qualifiziertes Fachpersonal, z.B. Ärzt*innen und Psycholog*innen aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst erbracht werden. Ebenso muss für Schüler*innen, die aus Hilfesystemen in die Schule zurückkehren, der Übergang erleichtert werden – sei es durch die Weiterentwicklung und konsequente Anwendung von Nachteilsausgleichen, Übergangsschulen oder Schulbegleitungen. Um die bisher unzureichende Vernetzung der verschiedenen Systeme insgesamt weiter voranzutreiben und aus Schnittstellen Nahtstellen zu machen, fordern wir als Bündnis90/Die Grünen Berlin die verpflichtende und strukturierte Zusammenarbeit zwischen der Bildungs-, Jugend-, Familien- und Gesundheitsverwaltung und relevanter Akteur*innen unter der federführenden Koordination der Landesbeauftragten für psychische Gesundheit. Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sowie der Übergänge zu Angeboten für Erwachsene sollen bei der Landesbeauftragten für psychische Gesundheit als besonderer Schwerpunkt gestärkt werden.

Eltern spielen eine zentrale Rolle im sozialen Netz der jungen Menschen. Sie stärker in die Schulgemeinschaft einzubinden und ihnen entsprechende Angebote zu machen, ist essenziell. Sie müssen über die Schule auch für sich selbst und ihre Kinder Zugang zu Hilfsangeboten erhalten. Soziale Angebote wie Elterncafés oder gemeinsame Aktivitäten am Nachmittag können helfen, Vertrauen aufzubauen und den Austausch zwischen Eltern, Lehrkräften und Schüler*innen zu fördern. Gleichzeitig muss zu jedem Zeitpunkt klar sein, welche Ansprechpersonen an der Schule für welche Anliegen zuständig sind und an welcher Stelle Betroffene Informationen erhalten können. Hierbei wollen wir die Schulen Berlins über die Landesbeauftragte für psychische Gesundheitunterstützen. Damit dies gelingt, muss die Landesbeauftragte auch mit den notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet sein.

Im Sinne eines partizipativen Ansatzes fordern wir grundsätzlich den strukturierten Einbezug von Schüler*innen und Eltern in Gremien, die sich mit der psychischen Gesundheit von Schüler*innen befassen.

Gewalt, Mobbing und Suchtprobleme sind sowohl Ursachen als auch Symptome psychischer Erkrankungen und führen oft zu Schulabbrüchen. Dafür gibt es in Berlin ausgebildete Krisenteams in jedem Berliner Bezirk, die flexibel und schnell eingreifen. Wir fordern, dass Schulabwesenheit weiterhin konsequent an die Schulaufsicht gemeldet werden muss, um Schulabstinenz möglichst schnell Einhalt gebieten zu können. Langfristig sollen Schulbegleitungen oder Mentoringprogramme finanziert und eingesetzt werden können, bevor eine Lernende Person schulabstinent wird. Mit der fortschreitenden Digitalisierung entstehen neue Risiken wie Mediensucht, Cybermobbing oder ein gesteigertes Vergleichen mit anderen. Das erhöht das Potenzial für Ängste, Depressionen, Einsamkeit und Probleme mit dem Körperbild. Gleichzeitig bietet die digitale Welt Chancen zur Emotionsregulation, zum Aufbau von sozialen Netzwerken oder zur Selbstentfaltung. Daher müssen wir als Grüne einen Schwerpunkt auf die Förderung der Medienkompetenz legen und andererseits konkrete Maßnahmen und Kriseninterventionen in Berlin durch ausreichend Personal und finanzielle Mittel gewährleisten.

Diskriminierung an Berliner Schulen ist eine Realität – mit gravierenden Folgen wie Stress, psychischen Erkrankungen, körperlichen Beschwerden und einem verringerten Selbstwertgefühl. Wir fordern daher, verpflichtende Inhalte zur Antidiskriminierung und Reflexion eigener Stereotype in der Lehrkräfteausbildung zu verankern und Fortbildungen in diesem Bereich stärker zu bewerben. Das muss sich auch entsprechend in einer diskriminierungskritischen Überarbeitung der Rahmenlehrpläne und Schulmaterialien niederschlagen. Zudem braucht es klare Anlauf-, Beschwerde- und Interventionsstrukturen.

Der Kinder- und Jugendbericht 2024 reiht sich ein in die zahlreichen Untersuchungen, welche aus Befragungen von Jugendlichen zu dem Ergebnis kommen. "Die Verdichtung von Lehrinhalten in Schulen und Universitäten führt zu erhöhtem Leistungsdruck und Stress. Um den Lernstoff bewältigen zu können, verlieren junge Menschen häufig Erholungsphasen, was langfristig zu gesundheitlichen Problemen führen kann. Die finanzielle Unsicherheit ist ein weiterer Belastungsfaktor." Die Arbeit mit Alternativen zur Ziffernnote ist nach dem Berliner Schulgesetz bis zur 9. Klasse möglich. Dies ist aus unserer Sicht in Bezug auf die Mentale Gesundheit eine relevante Stellschraube, um den Druck auf junge Menschen zu verringern.Insbesondere deshalb, weil Ziffernnoten keinen konkreten Anhaltspunkt zur Verbesserung bieten und damit Selektion vor Lernförderung und -motivation stellen. Außerdem suggerieren sie eine falsche Vergleichbarkeit und geben keine Möglichkeit zur Würdigung der individuelle Entwicklung. Unabhängig von gesundheitlichen Aspekten denken wir als Grüne, dass Klausuren und Tests auf ihre Notwendigkeit überprüft und reduziert werden sollten, um sowohl Schüler*innen als auch Lehrkräfte zu entlasten. Langfristig braucht es Alternativen zu den bisherigen Ziffernnoten und eine konsequente Entschlackung des Lehrplans. Vertiefende Übungen wie die klassischen Hausaufgaben sollen nur noch Bestandteil des ganztägigen Schulagnebots sein.

 

Langfristige Maßnahmen zur Verbesserung der mentalen Gesundheit in Schulen

Als Grüne ist für uns klar: Langfristig bedarf es einer strukturellen Verankerung von Inhalten zur mentalen Gesundheit im Rahmenlehrplan. Während der fächerübergreifende Ansatz im Lehrplan festgelegt ist, bleibt er in der Praxis oft unbeachtet. Junge Menschen müssen in der Schule Zeit und Raum erhalten, um den Umgang mit Gefühlen, die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen sowie den Aufbau von Selbstbewusstsein und Resilienz zu erlernen. Solange der Unterricht nach Fächern geordnet bleibt, sollten diese Inhalte fest im Ethik-, Sport- oder Biologieunterricht verankert werden. Darüber hinaus muss das Instrument des Klassenrats, als Instrument der gemeinsamen Konfliktlösung, weiterhin gefördert werden.

Für uns als Grüne ist wichtig: Lehrkräfte dürfen dabei nicht mit zusätzlichen Aufgaben überlastet werden. Stattdessen müssen multiprofessionelle Teams an Schulen endlich Realität werden. Schulpsycholog*innen, Sozialarbeiter*innen und weitere Fachkräfte müssen fester Bestandteil des Schulalltags sein. Dabei soll geprüft werden, wie Schulstationen gesetzlich verankert werden können. Ebenso sollte die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte durch administrative Unterstützung, beispielsweise durch Verwaltungskräfte und IT-Fachleute, gesenkt werden. Um den Lehrkräften den Umgang mit den vielfältigen Herausforderungen zu erleichtern, sollten sie zudem regelmäßig und unbürokratisch Supervision in Anspruch nehmen können. Gesundheitsfördernde Maßnahmen für Lehrkräfte sollte ausgebaut und konkret auf ihre Bedürfnisse abgestimmt werden. Teamfähigkeit, das Lösen von Konflikten und der Umgang mit Herausforderungen sowie ein psychologisches Grundwissen müssen ein fester Lerninhalt im Studium und in Fortbildungen werden.

Wir sind als Grüne überzeugt: Ein wesentlicher Faktor für die Resilienz junger Menschen ist ihre Selbstwirksamkeit. Schüler*innen müssen stärker in Entscheidungen eingebunden werden. Ihre Beteiligung darf nicht nur symbolisch sein, sondern muss echte Mitbestimmung ermöglichen – sei es in der Schulkonferenz oder im Unterricht selbst. Die grundlegende Demokratisierung des Schulsystems sehen wir als ein zentrales Instrument, um die Mentale Gesundheit junger Menschen zu fördern.

Die Lernumgebung spielt eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden aller Beteiligten. Marode Schulen, unzureichende Sanitäreinrichtungen und triste Schulhöfe mindern das Wohlbefinden. Schulen müssen saniert und modernisiert werden, um ein förderliches Lernklima zu schaffen. Neue Schulbauten sollten genug Platz für therapeutische Angebote bieten und offene Raumkonzepte berücksichtigen, die eine flexible Nutzung ermöglichen. Wir sehen kleinere Lerngruppen ebenfalls als einen Schlüssel zur Schaffung einer angenehmen und stressreduzierten Lernumgebung, weshalb wir uns schon seit einiger Zeit dafür einsetzen.

Als Grüne ist uns bewusst: Junge Menschen haben einen anderen Biorhythymus als Erwachsene. Ein zu früher Schulbeginn kann bei Schüler*innen zu Leistungseinbußen, Gedächtnislücken und Stimmungsschwankungen führen. In Deutschland waren verschiedene Pilotprojekte für eine Gleitzeit an Schulen zum Beispiel in Badem-Würtemberg und Nordrhein-Westfalen bereits erfolgreich. Wir wollen daran anknüpfen und Schulen dazu ermutigen, Gleitzeit-Modelle zu implementieren.

Wir als Grüne wissen: Schulentwicklung ist einer der entscheidendsten Schauplätze auf dem Weg zu einer gesunden Schule. Programme wie „Gute gesunde Schule“, welche den Schulalltag gesundheitsförderlicher gestalten sollen, wollen wir evaluieren und weiterentwickeln. Schulleitungen sollten standardmäßig durch Mental Health Coaches unterstützt werden, um die mentale Gesundheit der gesamten Schulgemeinschaft sowie ihre eigene Gesundheit im Blick zu behalten.

 

Ausblick

In dem aktuellen Kinder- Jugendbericht der Bundesregierung (2024) erfahren wir wie es jungen Menschen in Deutschland derzeit geht: Nach der Corona-Krise und der Zeit der sozialen Isolation zeigen junge Menschen noch Jahre später Anzeichen für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Essstörungen. Dazu kommen die aktuellen Krisen, welche junge Menschen zusätzlich belasten: Die Klimakrise, Kriege und die Inflation. Besonders betroffen sind junge Menschen, die in beengten Wohlverhältnissen leben oder psychische erkrankte Eltern haben – vor allem Familien mit wenigen finanziellen Mitteln oder Menschen mit Migrationsgeschichte. Als Grüne ziehen wir daraus folgenden Schluss: Wenn wir die psychische Gesundheit junger Menschen schützen und stärken wollen, müssen wir strukturelle Lösungen voranbringen. Neben den Veränderungen im Bildungssystem müssen wir Armut und Diskriminierung bekämpfen, bezahlbaren Wohnraum schaffen und Antworten auf die vielen Krisen unserer Zeit finden.

Unsere Gesundheit ist das wichtigste Gut, das wir haben. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass die mentale Gesundheit junger Menschen und des gesamten schulischen Umfelds höchste Priorität hat!

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Zusammenhalt sichern