20.06.18 –
Vorläufiger Beschluss des Landesauschusses am 20. Juni 2018
Für ausreichend leistbaren Wohnraum zu sorgen, ist eine der zentralen sozialen Aufgaben unserer Stadt. Immer weniger Berliner*innen können sich die hohen und steigenden Mieten noch leisten. Immer mehr Menschen sind von Verdrängung bedroht, werden sogar wohnungslos oder wohnen sich arm. Die Vernichtung preisgünstigen Wohnraums durch überteuerte Modernisierungen, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder durch Abriss oder Zusammenlegungen schreitet seit Jahren voran. Verschärft wird die Situation durch spekulative Finanzinvestorenmit Sitz in Steueroasen, die gezielt bestehende Steuerschlupflöcher nutzen, um ihre Gewinne am Allgemeinwohl vorbei zu schleusen. Deshalb braucht es endlich einen Paradigmenwechsel in der Wohnungspolitik: Deutlich mehr sozialen Wohnungsbau, den sich endlich auch Geringverdiener*innen leisten können. Der Ausbau von Luxuswohnungen, die nur als Zweit-, Dritt- und Viertwohnungen genutzt werden, helfen zwar reichen Jetsetter*innen, den Berliner Wohnungsmarkt entlastet dies aber nicht. Und Neubau alleine wird auch nicht reichen: Wir müssen Mieterhöhungen deutlich begrenzen, Immobilienspekulationen entgegentreten und in eine sozial-gerechte Bodenpolitik einsteigen. Bereits seit 2008 schlagen wir als Bündnis 90/Die Grünen Alarm und fordern diese Wende in der Wohnungspolitik.
Trotz des Zweckentfremdungsverbots erleben wir stadtweit die Zunahme von spekulativem Leerstand, von legalen Abrissen, aber auch von Untervermietungen als Ferienwohnungen. Seit 2014 wurden zwar insgesamt wieder ca. 9.000 Wohnungen dem Mietwohnungsmarkt zugeführt, angesichts des Wohnraummangels ist das aber nicht ausreichend. Rot-Rot-Grün hat deshalb das Gesetz zum Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum verschärft. Damit sollen die Bezirke mehr Kompetenzen bekommen, um effektiver eingreifen zu können. Die genehmigungsfreie Leerstandsfrist wurde von sechs auf drei Monate verkürzt, d.h. Eigentümer müssen bereits einenLeerstand von länger als drei Monaten beantragen. Regeln zum Rückbau und zur Wiederherstellung von Wohnraum nach Verstößen gegen das Zweckentfremdungsverbotsgesetz wurden präzisiert und verschärft. Um Verstöße gegen das Gesetz bei wiederholter Missachtung künftig schlagkräftiger ahnden zu können, wurde ein sogenanntes Treuhänder-Modell eingeführt. Wird der Aufforderung zur Beseitigung einer Zweckentfremdung nicht nachgekommen und helfen andere Sanktionen nicht, soll künftig als letztes Mittel ein*e Treuhänder*in eingesetzt werden, um den Wohnraum zu vermieten. Ebenso haben wir die Geldbußen bei Verstößen auf bis zu 500.000 Euro erhöht. Gerade unsere grünen Stadträt*innen gehen mit voller Kraft gegen Leerstand und Zweckentfremdungen vor und werden das geschärfte Gesetz nutzen.Doch die Bezirke benötigen auch ausreichend Personal, um dieses Gesetz umzusetzen. Und das finanzielle Risiko zur Einsetzung des Treuhänders bzw. der Treuhänder*in muss durch den Senat abgesichert werden. Es ist zentral, dass wir die Bezirke in diesem Bereich besser ausstatten, damit sie gegen das illegale Treiben vieler Immobilienspekulant*innen vorgehen können.
Für Bündnis 90/Die Grünen Berlin reicht dies aber lange noch nicht aus. Wir wollen auch eine Verschärfung des Wohnungsaufsichtsgesetzes. Denn die ca. 60 Problemimmobilien in fast allen Bezirken, die seit vielen Jahren leer stehen, fallen nicht unter das Zweckentfremdungsverbot. Bei diesen Immobilien gilt es, überhaupt erst wieder eine Wohnnutzung zu ermöglichen. Um das erreichen, müssen wir das Wohnungsaufsichtsgesetz überarbeiten und dabei besonders die Möglichkeiten der Bezirke, bei Verwahrlosung und Missständen früher einzugreifen, erweitern. Aber besonders zentral wäre es, dass Bezirke zukünftig die Kosten bei Ersatzvornahmen zum Abstellen der Missstände in das Grundbuch des Hauses als Last eintragen können, so dass sie nicht auf ihren Kosten sitzen bleiben. Jedoch müssen auch die finanziellen Risiken der Bezirke durch einen Fonds abgesichert werden.
Leerstand betrifft nur einen geringen Umfang der Wohnungspolitik von Rot-Rot-Grün, dieser steht aber in einem besonderen öffentlichen Interesse und sorgt zurecht für starken Unmut.Die neun, teils Schein- Besetzungen von jahrelang leerstehenden Häusern bzw. Wohnungen sind Ausdruck der berechtigten Kritik an der zunehmenden Verdrängung von Mieter*innen. Sie sind ein politisches Symbol gegen Wohnungsnot sowie Spekulation. Es ist bedauerlich, dass keine Verhandlungslösung zwischen dem Senat und den Besetzer*innen der Bornsdorfer Straße 37b erzielt wurde, obwohl ein Kompromiss in greifbarer Nähe war. Die Besetzer*innen hatten Räumlichkeiten für den Kiez und günstigen Wohnraum für Wohnungslose und Geflüchtete gefordert. Es ist richtig zu kritisieren, dass Wohnraum leer steht während die Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen in der Stadt wächst und immer weniger Haushalte sich die exorbitanten Mieten leisten können. Die Hausbesetzungen verdeutlichen auch, dass viele unserer Gesetze nicht stark genug sind, um das Primat der Politik wieder herzustellen. Nicht wenige betroffene Mieter*innen zweifeln am Rechtsstaat, wenn sie jahrelang um ihre Wohnung kämpfen müssen. Auch deshalb haben wir Bündnisgrüne uns für die stadtweite Einführung offener Mieterberatungen und für einen kostenlosen Rechtsschutz für Arme eingesetzt und im Haushalt 2018/19 erkämpft.
Die Eigentumsfreiheit und das Hausrecht sind ein hohes Gut, aber “Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Das lange Leerstehenlassen von Wohnungen und das Verfallenlassen von Wohnhäusern aus Spekulationsgründen ist angesichts steigender Mieten und Wohnungsnot in vielen Städten oder Stadtteilen kein Gebrauch, der mit der Sozialpflichtigkeit von Eigentum an Grund und Boden und dem Wohl der Allgemeinheit zu vereinbaren ist. Wenn mutwillig und bewusst, nur zum eigenen finanziellen Interesse mit Wohnraum spekuliert und dieses so dem Gemeinwohl entzogen wird, sind aus unserer Sicht Hausbesetzungen legitim, auch wenn staatliches Eingreifen grundsätzlich Vorrang hat.
Die Berliner Linie besagt nicht primär, dass Hausbesetzungen innerhalb von 24 Stunden durch die Polizei geräumt werden müssen. Als der damalige Regierende Bürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) die „Berliner Linie der Vernunft“ im Jahr 1981 einführte , war das die Reaktion auf eine Besetzungswelle von etwa 165 Häusern. Dabei sollten aber bereits zuvor besetzte Häuser sogar geschützt werden. Durch Dialog und Verhandlungen gelang im Laufe der Jahre sogar die Legalisierung von über 100 Häusern. Berlin wäre nicht so vielfältig und bunt, wie es heute ist, hätte es die Hausbesetzer*innen-Szene von damals nicht gegeben. Dass Verhandlungen der richtige Weg ist, beweist seit vielen Jahren auch die Stadt Zürich. Wie in Deutschland muss auch in der Schweiz zunächst ein Strafantrag durch den Eigentümer gestellt werden. Jedoch wird zunächst ein Kompromiss zwischen den Eigentümer*innen und den Besetzeer*innen versucht, um eine langfristige Befriedung zu erreichen, auch durch Zwischennutzungsverträge. Zudem wird das Gebäude bzw. Wohnhaus durch die Polizei überhaupt erst geräumt, wenn der Eigentümer vorweisen kann, dass eine neue Nutzung, ein Abriss oder eine Sanierung unmittelbar bevor steht. Damit wird erreicht, dass Räumungen erst so spät wie nötig vorgenommen werden. Viele Häuser, die von Zwischennutzer*innen in Anspruch genommen werden, dienen sogar der Entwicklung von sozialen oder alternativen Lebensweisen und Kultur.
Dieses Modell kann Wohnraum erhalten und Spekulant*innen abschrecken. Wir wollen daher die Erfahrungen aus Zürich für unseren politischen Umgang mit Hausbesetzungen in Berlin nutzen und die „Berliner Linie der Vernunft“ nach Züricher Vorbild weiter entwickeln.
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