Göring-Eckardt und Trittin: Mit queeren Themen in den grünen Wahlkampf?! – PM BAG Schwulenpolitik

10.11.12 –


Zum Ergbnis der Grünen Urwahl zum Spitzenduo für die Bundestagswahl 2013 erklären André Stephan und Sören Landmann, Sprecher der BAG Schwulenpolitik:

Die Mitglieder von Bündnis 90 | DIE GRÜNEN haben Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin zu ihrem Spitzenduo für die Bundestagswahlen 2013 gekürt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwulenpolitik gratuliert den beiden Abgeordneten zu diesem Erfolg und dankt auch den unterlegenen Kandidierenden. Ab jetzt zählt aber wieder das Kerngeschäft: Für grüne Politik Mehrheiten in der Gesellschaft gewinnen.

Beide Spitzen werden queere Politik glaubwürdig vertreten. Davon zeugen nicht zuletzt die Antworten auf die Wahlprüfsteine, die die grünen Lesben- und Schwulenpolitiker_innen allen Kandidierenden im Vorfeld der Abstimmung gestellt hatten.

Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin stehen für die Öffnung der Ehe, für die Stärkung von Regenbogenfamilien und für den Abbau der Diskriminierung im kirchlichen Arbeitsrecht.

Katrin Göring-Eckardt sagt dazu "Mir liegt daran, im Dialog mit den Kirchen, insbesondere mit der Katholischen Kirche, zu Lösungen zu kommen, die das AGG zur Grundlage für alle Arbeitsfelder jenseits des unmittelbaren Verkündigungsbereichs machen und eine unterschiedliche Behandlung aufgrund der sexuellen Orientierung oder aufgrund des Familienstandes oder dessen Veränderung untersagen."

Die grünen SpitzenkandidatInnen sind sattelfest in allen queeren Themen, auch solchen, die Fachwissen erfordern. Das ist wichtig: Queere Politik wird eine Kernfrage im Wahlkampf. Nur grün sorgt für gleiche Rechte.

Unsere Gesellschaft ist vielfältig und soll dies auch bleiben. Deshalb wollen wir die Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften öffnen, Trans- & Homophobie bekämpfen sowie Regenbogenfamilien stärken. Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin kämpfen für diese Ziele. Wir freuen uns auf den gemeinsamen Wahlkampf!

André Stephan & Sören Landmann
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Sprecher der BAG Schwulenpolitik


QUEERE FRAGEN UND ANTWORTEN ZUR URWAHL (Auszug)

Frage: Sollten gleichgeschlechtliche Paare Kinder bekommen dürfen und welche der denkbaren Methoden würdest Du hierbei aus welchen Gründen ausschließen wollen bzw. den Zugang zu ihnen erleichtern?

Antwort von Jürgen Trittin: "Gleichgeschlechtliche Paare beweisen heute bereits tausendfach, dass sie gute Eltern sind. Sie sollen deshalb selbstverständlich Kinder bekommen dürfen. Der erste Schritt, für den wir seit Jahren kämpfen, ist die Öffnung der Adoption für verpartnerte gleichgeschlechtliche Paare. Lesbische Paare sollen außerdem die Möglichkeit der Insemination durch Spendersamen nutzen können. Hier ist eine rechtliche Klarstellung notwendig."

Antwort von Katrin Göring-Eckardt: "Kinder sind ein großes Glück und es ist zugleich eine herausfordernde und wunderbare Aufgabe, mit Kindern zu leben, sie ein Stück zu begleiten und ihnen ein Zuhause zu geben. All das ist unabhängig von der sexuellen Orientierung ihrer Eltern. Derzeit gibt es keine Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkassen bei künstlicher Befruchtung von Paaren, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben. Eine Richtlinie der Bundesärztekammer von 2006 erlaubt keine künstliche Befruchtung für alleinstehende Frauen oder Frauen in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Diese diskriminierende Praxis muss geändert werden und ich denke, dass die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare der richtige Schritt wäre, egal wie man zur Ehe stehen mag. Hier geht es um Gleichberechtigung. Außerdem würde damit das gleiche Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Ehepaare gewährleistet. Ich finde es jedenfalls unerträglich, dass sich Lesben und Schwule immer noch erklären müsse und offensichtlich zu beweisen haben, dass sie gut sind für Kinder, ihnen Klavierunterricht geben lassen und vollgespuckte Jacketts haben. Ein Artikel wie der von Carolin Emcke in der ZEIT vom 16. August 2012. bedrückt mich jedenfalls sehr. Darin fragt sie: „Wir dürfen Kranke heilen, als Soldaten unser Leben riskieren und Deutschland bei der Olympiade vertreten. Nur heiraten und Kinder großziehen dürfen wir nicht. Warum eigentlich?“ Ich fand es traurig, dass dieser Artikel nicht von einer/einem Heterosexuellen geschrieben wurde…"

Frage: Wie gedenkst Du die körperliche Unversehrtheit und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung von intersexuellen Kindern zu schützen?

Antwort von Jürgen Trittin: "Die bisherige Praxis, in der es de facto keinen Platz für intersexuelle Kinder und Erwachsene gibt, muss ein Ende haben. Heute werden intersexuelle Säuglinge operiert, ihre Geschlechtsteile werden verändert oder entfernt. Oft folgen viele weitere Operationen im Kindesalter. Viele Betroffene leiden sehr unter den Eingriffen. Ich plädiere dafür, auf chirurgische Eingriffe bei Säuglingen und Kleinkindern zu verzichten. Stattdessen muss es die Möglichkeit geben, ein „anderes“ Geschlecht anzugeben. Das setzt voraus, dass Ärzte, Hebammen, Schwestern, Pfleger etc. entsprechende gut geschult werden."

Antwort von Katrin Göring-Eckardt: "Intersexuelle Kinder dürfen nicht im Sinne der zwei „normalen“ Geschlechter chirurgisch und medikamentös/hormonell zwangsnormalisiert werden. Sinnvolle Maßnahmen in diesem Sinne wären sicherlich die Eintragung eines dritten Geschlechts in die Geburtsurkunde, das Verbot der Geschlechtsanpassung und der Veränderung der Genitalorgane von intersexuellen Kindern sowie ein größeres Beratungs- und Betreuungsangebot für Kinder und Angehörige von intersexuellen Kindern."

Frage: Wie möchtest Du der gesellschaftlichen Homo- und Transphobie begegnen und welche konkreten Maßnahmen schlägst Du vor? Wie können insbesondere LSBTTI-Jugendliche geschützt und gestärkt werden?

Antwort von Jürgen Trittin: "Homo- und Transphobie darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Ein wirksames Zeichen, um das zu unterstützen, ist die Ergänzung von Art. 3.3 GG, für die wir uns seit Jahren stark machen.

In der Schule, in Jugendclubs, in Vereinen muss die Message sein: hier ist kein Platz für Mobbing, Diskriminierung oder Gewalt. Dafür brauchen wir unter anderem Projekte und Programme, die LSBTTI-Jugendliche stärken und unterstützen. Das ist auch eine Frage des Geldes – denn gute Jugendsozialarbeit kostet. Deshalb müssen Kommunen und Länder finanziell ausreichend ausgestattet sein – die strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Hand müssen wir beenden. Aber wir brauchen auch Vorbilder, die sich outen. In der Politik, den Medien, der Kunst, Musik, Kultur ist das bereits Gang und Gäbe. Umso trauriger, dass sich die Bundesliga noch immer heterosexuell gibt."

Antwort von Katrin Göring-Eckardt: "Homophobie und Transphobie müssen gesellschaftlich geächtet werden. So wie es inzwischen erfreulich viele politische und zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rassismus gibt, brauchen wir auch einen verstärkten Kampf gegen die Diskriminierung von Homosexuellen und Transsexuellen. Ich wünsche mir Demos und Mahnwachen, wenn ein Schwuler verprügelt wird, wie es in einigen Großstädten leider immer häufiger passiert. Als GRÜNE Bundestagsfraktion haben wir 2009 einen Antrag eingebracht, in dem wir als Maßnahme gegen die Feindseligkeiten gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans- und intersexuellen Menschen einen „Nationalen Aktionsplan gegen Homophobie“ fordern. Diesen Vorschlag unterstütze ich nach wie vor - die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans- und intersexuellen Menschen muss mit allen Mitteln bekämpft werden. Wir brauchen mehr Aufklärung, besonders in der Schule. Eine Überarbeitung des Antrags ist sicherlich sinnvoll, so sollten wir der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren mehr Raum geben. Insbesondere muss die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hier stärker aktiv werden, auch benötigen wir ein Bund-Länder-Programm gegen antiqueere Gewalt. Mindestens genauso wichtig ist, dass die Vielfalt sexueller Identitäten und Lebensweisen in den Schullehrplänen eine größere Rolle spielt - ebenso in der Lehreraus- und –fortbildung. Und was speziell den Schutz von LSBTTI-Jugendlichen angeht: Da sollten die Lehrpläne so erweitert werden, dass Schülerinnen und Schüler und nicht zuletzt Lehrerinnen und Lehrer durch entsprechende Fortbildungen stärker sensibilisiert werden, auch in außerschulischen Bildungs- und Jugendeinrichtungen müssen LSBTTI-Themen eine größere Rolle spielen. Dazu gehört auch die Ächtung von Hassmusik gegen queere Lebensweisen. Ohne finanzielle Unterfütterung geht das alles nicht, dass wissen wir aus anderen Antidiskriminierungs­programmen und vermutlich wird es auch mit der SPD in der Regierung kein Leichtes sein, das durchzusetzen. Aber dafür gibt es uns ja."

Frage: Welche Chancen siehst Du für eine zügige, menschenrechtskonforme Reform des Transsexuellenrechts – die bereits unter der rot-grünen Bundesregierung verschleppt und vom Bundesverfassungsgericht mehrfach angemahnt wurde?

Antwort von Jürgen Trittin: "Schwarz-Gelb hat sich zwar im Koalitionsvertrag zu einer Veränderung des Transsexuellenrechts bekannt, bisher aber nicht geliefert. Ich gehe nicht davon aus, dass sich das bis zum Ende der Legislatur ändert.Wir haben vor zwei Jahren einen Gesetzentwurf eingebracht, den wir in Regierungsverantwortung so schnell wie möglich umsetzen werden. ( Entwurf eines Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit (ÄVFGG), Drucksache 17/2211)."

Antwort von Katrin Göring-Eckardt: "Sollte es nach der Wahl zu der rot-GRÜNEN Regierung kommen, für die ich kämpfe, sehe ich gute Chancen für eine Reform des Transsexuellenrechts. Grundlage dafür sollte der GRÜNE Antrag „Selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen – Transsexuellenrecht umfassend reformieren“ sein, der 2006 von der Großen Koalition leider abgelehnt wurde."

Frage: Sollten Deiner Meinung nach Verantwortungsgemeinschaften zukünftig mehr als zwei Personen umfassen können und würdest Du biologischen und sozialen Eltern gleichzeitig ein gesetzliches oder vertragliches Mitspracherecht in Bezug auf ihr Kind einräumen?

Antwort von Jürgen Trittin: "Schon heute übernehmen viele Menschen tagtäglich Verantwortung für Kinder, ohne dass diese „legalisiert“ oder an Rechte gebunden ist. Unzählige Kinder bezeichnen mehr als zwei Personen als ihre „Eltern“, das muss auch rechtlich gewürdigt werden. Eine Idee ist das Mit-Sorgerecht für soziale Eltern. Mir ist wichtig, dass bei der Regelung vom Kind aus gedacht wird. Es darf nicht zum Zankapfel zwischen 2-4 Elternteilen werden, die alle am besten wissen, was für das Kind das Beste ist."

Antwort von Katrin Göring-Eckardt: "Natürlich sollte der Staat es unterstützen, wenn Menschen dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen und wir sollten gemeinsam darüber diskutieren, wie. Doch können die für Zweierbeziehungen geltenden rechtlichen Regelungen nicht einfach auf polyamouröse Beziehungsformen übertragen werden. Ich möchte es jedenfalls niemandem wünschen, dass er oder sie nach einer Trennung gegenüber vier Personen unterhaltspflichtig wird. Wenn aber Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, dann ist das in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen allein zurechtkommen müssen oder wollen, zunächst einmal wünschenswert und erfreulich - und sollte nicht als Eigentümlichkeit abgetan werden. Zum zweiten Teil der Frage: Es ist wichtig – nicht zuletzt, um im Alltag rechtliche Unsicherheit zu vermeiden - die Beziehungen von in Patchwork- und Regenbogen- Familien lebenden Kindern und deren sozialen Eltern abzusichern und die Verantwortung für ein Kind unabhängig von einer ‚biologischen‘ Verwandtschaftsbeziehung zu würdigen. Oft geht es um ganz praktische Dinge, wie den Besuch bei der Ärztin, den Elternabend in der Kita oder die Unterschrift unter die Mathearbeit. Es geht um Rechtssicherheit und natürlich auch die Anerkennung dessen, was soziale Eltern gleichwertig den biologischen Eltern in der Gesellschaft leisten. Welches die besten Schritte dorthin sind, darüber sollten wir GRÜNE uns in einem Diskussionsprozess bald verständigen. Die rechtliche Absicherung und Verstetigung der sozialen Verantwortung durch ein neues Rechtsinstitut wäre meines Erachtens eine gute Idee. Die soziale Elternschaft sollte denn auch in einem ausweisähnlichen Dokument („Elternpass“) nachweisbar sein."

Frage: Wie sollte Deiner Meinung nach am besten von deutscher Seite darauf reagiert werden, wenn in anderen Ländern Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität oder ihres Geschlechtsausdrucks (nicht nur) von staatlicher Seite aus diskriminiert, verfolgt oder bedroht werden und wie stehst Du in diesem Zusammenhang zu "Conditional Aid"? Wo gibt es aus Deiner Sicht in Bezug auf diese Thematik dringenden Änderungsbedarf in der aktuellen deutschen Asylpolitik?

Antwort von Jürgen Trittin: "Schon heute reagieren wir durch Appelle und Mahnungen bei Staatsbesuchen auf die Diskriminierung, Verfolgung oder Bedrohung von LGBTTI. Bei der Konditionierung von Hilfe kommt es darauf an, wen sie am Ende trifft. Zielführender ist es, gezielt Projekte zur Stärkung von LGBTTI in den betroffenen Ländern zu unterstützen. Homosexuelle Flüchtlinge dürfen nicht länger in ihr Heimatland abgeschoben werden, wenn sie dort aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt werden."

Antwort von Katrin Göring-Eckardt: "In über 75 Staaten werden schwule Männer verfolgt und mit Freiheitsentzug oder sogar mit der Todesstrafe bestraft. In vielen dieser Länder werden auch lesbische Frauen verfolgt. Die Bürgerrechtsbewegungen dort brauchen unsere Unterstützung. Die Bundesregierung muss den politischen und diplomatischen Druck auf diese Länder erhöhen, in bilateralen Gesprächen genauso wie im Rahmen der EU und der UNO. Menschenrechte müssen universal gelten, deswegen ist die Strafbarkeit von Homosexualität nicht hinzunehmen. Die Entwicklungszusammenarbeit sollte aber im Falle von homophober Gesetzgebung und Politik nicht gleich eingestellt, dies träfe oft genug die Falschen und würde Deutschland jede Möglichkeit zur Einflussnahme nehmen. Vielmehr sollten vor der Vergabe von Entwicklungsgeldern in Zukunft konkrete Vereinbarungen über die Verbesserung der Menschenrechtslage auch und vor allem für Homosexuelle getroffen werden. Und was die Asylpolitik angeht: Hier sollte Betroffenen in der Praxis öfter als bisher Asyl nach § 22 Aufenthaltsgesetz angeboten werden, natürlich vor allem dann, wenn sie in ihrem Heimatland von menschenrechtswidrigen Strafen bedroht sind. Dabei kann das Problem der Glaubhaftmachung von Homosexualität dadurch gelöst werden, dass speziell geschultes Personal zur Verfügung gestellt wird, dabei sollten die Lesben und Schwulenverbände eine zentrale Rolle spielen."