Keine Klimagerechtigkeit ohne Geschlechtergerechtigkeit!

07.12.19 –

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 7. Dezember 2019

Zusammenfassung

Frauen* sind weltweit am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen, obwohl sie durchschnittlich für weniger Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind als Männer*. Gleichzeitig sind sie an Entscheidungen zur Bekämpfung der Klimakrise weniger beteiligt, werden von aktuell geplanten Maßnahmen stärker belastet und von Kompensationen weniger stark entlastet. So führt die Klimakrise dazu, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern weiter verschärft wird. Um dem entschieden gegenzusteuern, ist es unerlässlich, die Fragen nach Klimaschutz und Klimagerechtigkeit immer auch im Zusammenhang mit Geschlechtergerechtigkeit zu stellen.

Wir stecken in der größten Krise der Menschheit. Spätestens bei 2 °C globaler Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit werden Kipppunkte erreicht, die Kettenreaktionen anstoßen, bei denen nicht mehr vorhergesagt werden kann, welche unumkehrbaren Folgen dies für uns hat. Wir zerstören mit unserer aktuellen Lebensweise die Lebensgrundlage von Menschen und Tieren. Trotz dieser Lage werden Emissionsgrenzwerte, die auf der Klimakonferenz in Paris 2015 vereinbart wurden, leichtsinnig von einem Großteil der Entscheidungsträger*innen ignoriert.

Ursachen der Klimakrise, patriarchale Strukturen und toxische Männlichkeit

Männer* haben im Durchschnitt einen größeren CO2-Abdruck als Frauen*. Sie haben einen höheren Stromverbrauch, einen höheren Fleischkonsum sowie ein klimaschädigenderes Mobilitätsverhalten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Männer* meist über höheres Einkommen verfügen (Stichwort Gender Pay Gap) und dieses oft in ein als besonders "männlich" inszeniertes (Konsum)Verhalten stecken, welches gleichzeitig besonders klimaschädlich ist. Hinzu kommt, dass Frauen* dagegen insgesamt ein höheres Umweltbewusstsein haben und eher dazu bereit sind, ihr Konsumverhalten zugunsten von Klima- und Umweltschutz einzuschränken. So essen sie häufiger vegetarisch oder vegan und haben emissionsärmere Mobilitätsmuster.

Männer* profitieren in größerem Maße als Frauen* durch ihr Arbeiten und Wirtschaften und dem dabei erwirtschafteten Einkommen und Vermögen von klimaschädlichen Industrien. Energieerzeugung, Industrie, Verkehr, Gebäudewirtschaft und industrielle Landwirtschaft sind für den Großteil des menschengemachten Klimawandels verantwortlich. Gerade in diesen Branchen arbeiten und entscheiden überproportional viele Männer*.

Frauen* sind besonders von den Folgen der Klimakrise betroffen

Die Klimakrise verschärft bestehende soziale Ungleichheit. So sind bereits benachteiligte Bevölkerungsgruppen, wie beispielsweise Menschen mit niedrigem Einkommen, Frauen* und Kinder sowie Menschen im Globalen Süden maßgeblich stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen. Sie verfügen zudem über weniger Mittel sich zu davor schützen.

Frauen* verfügen durchschnittlich über ein geringeres Einkommen und somit über weniger Ressourcen, um sich heute und zukünftig an die Herausforderungen einer sich erhitzenden Welt anpassen zu können.Dazu gehören unter anderem Schutzmaßnahmen vor Hitze und Extremwetterereignissen, steigende Wasserpreise oder der Schutz vor Krankheiten, die sich infolge der Klimakrise stärker verbreiten.

Bei Umweltkatastrophen sterben oft bis zu viermal mehr Frauen*, weil sie sich häufiger zu Hause aufhalten, wo es keine Frühwarnsysteme gibt, weil sie oft nicht nur für sich selbst verantwortlich sind, sondern auch für weitere Personen wie Kinder oder ältere Verwandte oder weil sie nicht schwimmen lernen durften. In Gegenden mit großer Trockenheit und mangelhafter Infrastruktur führen längere Wasserwege dazu, dass zuallererst Mädchen* keine Bildung mehr genießen dürfen.

Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen sind von männlichen* Perspektiven geprägt

Trotz der stärkeren Betroffenheit werden Frauen* oft nicht oder nur in geringem Maß in Entscheidungsprozesse über Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen eingebunden. Dabei sind es oft Frauen*, die sich in vorderster Reihe für Klima- und Umweltschutz einsetzen. Als Beispiel seien indigene Frauen* genannt, die im Kampf gegen die fossile Energiewirtschaft sogar tödliche Repressionen in Kauf nehmen.

Männer* sind in Gremien auf allen politischen Ebenen, in denen über Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen entschieden wird, stark überrepräsentiert. So hatten beispielsweise im September 2015 bei Ratifizierung des PariserKlimaabkommens nur 18 von 193 Staaten (9,3 Prozent) eine Frau* als Regierungschefin im Amt. Das im März 2019 von der Bundesregierung eingesetzte Klimakabinett zur Erreichung der Klimaschutzziele 2030 bestand nur zu einem Drittel aus Frauen*. Auch im Ausschuss für Umwelt, Verkehr, Klimaschutz des Berliner Abgeordnetenhaus sind lediglich vier von 22 Mitgliedern weiblich*. Der Vorsitzende des Ausschusses sowie sein Stellvertreter sind beide männlich*.

Die ständige Unterrepräsentation von Frauen* in klimapolitischen Entscheidungsgremien hat maßgebliche Auswirkungen auf die Ausgestaltung von Klimaschutzmaßnahmen und führt dazu, dass männliche* Perspektiven durchweg stärker berücksichtigt werden.

Einfach die bestehenden Entscheidungsgremien mit mindestens 50 Prozent mit Frauen* zu besetzen, reicht nicht aus. Menschliche Bedürfnisse werden derzeit überwiegend aus einem männlich* geprägten markt- und konsumorientierten Wohlstandsmodell abgeleitet. Wir brauchen jedoch eine von kapitalisitschen Denkmustern entkoppelte Analyse menschlicher Bedürfnisse. Perspektiven von Frauen* müssen daher bei allen Maßnahmen systematisch analysiert und berücksichtigt werden. Neben dem Geschlecht müssen weitere Merkmale struktureller Diskriminierungen in den Blick genommen werden.

Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen drohen bestehende Ungerechtigkeiten zu verschärfen

Werden die Entscheidungen im Zusammenhang mit der Klimakrise aus Geschlechterperspektive betrachtet, ist festzustellen, dass sich hier bestehende Ungerechtigkeiten wiederfinden und größer zu werden drohen. Klimapolitische Maßnahmen, die auf die Reduzierung von Haushaltsemissionen abzielen, benachteiligen Frauen*. Rentner*innen oder Alleinerziehende, beides Gruppen in denen Frauen* besonders stark vertreten sind, werden etwa durch Subventionen der fossilen Industrie und die (auch dadurch hohen) Abgaben auf Energie überproportional belastet. Geschlechtergerechter sind entsprechend Maßnahmen, die auf die Reduzierung der Emissionen im
Verkehrssektor abzielen. In genau diesem Bereich geschah bisher jedoch am wenigsten für den Klimaschutz. Im Gegenteil, von Förder- und Ausgleichsmaßnahmen, die derzeit im Verkehrssektor durchgeführt werden und geplant sind, profitieren abermals überproportional Männer*.

Eine E-Autoförderung kommt zum Beispiel vor allem Menschen zugute, die sich ein E-Auto überhaupt leisten können. Statistisch sind das gehäuft weiße Akademiker*. Die aktuell durch die Bundesregierung vorgeschlagene Erhöhung der Pendler*innenpauschale als Ausgleich zum CO2-Preis ist ein weiteres Beispiel. Hiervon werden überwiegend Autopendler*innen mit höherem Einkommen und solche, die in einem Normalarbeitsverhältnis angestellt sind, profitieren. Auch dies sind deutlich überproportional häufig Männer*. Maßnahmen, die das Umweltbundesamt für Genderwirkungen in der Klimaschutzpolitik als besonders endscheidend ansieht, wurden dagegen in den vergangenen Jahrzehnten vollkommen vernachlässigt. Zu nennen wäre hier beispielhaft der Ausbau von Infrastruktur und Service im öffentlichen Verkehr, im Fuß- und Radverkehr, begleitet von Maßnahmen zur Reduktion des motorisierten Individualverkehrs.

Eine weitere Folge männlich* geprägter Entscheidungen über Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt. Ein Großteil der Arbeitsstellen, die durch Klimaanpassung neu entstehen und gefördert werden, fällt in Sektoren an, die von Männern* dominiert werden.

Geschlechtergerechtigkeit bedeutet Klimaschutz

Eine weniger männer*zentrierte Klimapolitik ist nicht nur als gleichstellungspolitischen Gründen dringend notwendig. Sie ist auch deutlich effizienter und wirksamer. Kommunen mit einem hohen Wert beim Genderbewusstsein haben in Untersuchungen auch die höchste Punktzahl bei der Bewertung ihrer Klimapolitik erhalten. Wenn nur männliche* Perspektiven in Entscheidungsprozesse einfließen, werden Tätigkeiten, die eher männlich* konnotiert sind, stärker berücksichtigt und gefördert. Um die Klimakrise als Gesellschaft zu bekämpfen, können wir es uns nicht leisten die Ideen und die Tatkraft der Hälfte der Gesellschaft zu ignorieren. Die weitreichenden Maßnahmen, die zur Eindämmung der Klimakrise umgesetzt werden müssen, bieten gleichzeitig die Chance, bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern systematisch anzugehen und gute wirksame Klimaschutzpolitik umzusetzen. Deshalb brauchen wir dringend eine feministische Klimapolitik!

Daher fordern wir:

1.  Gerade aus Geschlechtergerechtigkeitsperspektive müssen wir alles dafür tun, damit die mit dem Pariser Klimakommen festlegte 1,5 Grad Grenze nicht überschritten wird, auch wenn wir wissen, wie schwer dies wird.

2. Auf Bezirks-, Landes- wie auf Bundesebene setzen wir uns für den geschlechtergerechten Klimavorbehalt ein. Geschlechtergerechtigkeit und Klimafolgen müssen zum zentralen Kriterium aller politischen Entscheidungen werden und Grundlage aller Entscheidungen über Gesetzesvorlagen sein.

3. Frauen* müssen gleichberechtigt an Entscheidungsprozessen über Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen beteiligt werden. Deshalb müssen klimapolitische Entscheidungs- und Beratungsgremien wie Klimaschutzbeauftragte und Klimabeirat auf allen Ebenen geschlechtergerecht besetzt werden. Mit Regine Günther als Senatorin Umwelt, Verkehr und Klima und Ramona Pop für Wirtschaft und Energie sind wir hier einen ersten Schritt gegangen. Wir wollen weiterhin vorbildhaft sein und appellieren an den Senat, sämtliche Führungspositionen paritätisch zu besetzen und Personen paritätisch in Bundesgremien entsenden.

4. Im Bundesrat soll darauf hingewirkt werden, dass alle Maßnahmen, die auf Bundesebene zum Zweck des Klimaschutzes beschlossen werden sollen, auf Geschlechtergerechtigkeit geprüft und bei Bedarf angepasst werden. Maßnahmen, die eindeutig Frauen* benachteiligen, kann nicht zugestimmt werden.

5. Gender Mainstreaming und Gender Budgeting müssen im Umweltbereich konsequenter umgesetzt werden. Bestehende klima- und umweltwirksame Politik muss systematisch auf Geschlechtergerechtigkeit geprüft und falls nötig angepasst werden. Bei zukünftigen Entscheidungen im Zusammenhang mit Klimaschutz müssen Analysemethoden zu Genderaspekten wie Gender Impact Assessment, sozio-ökonomische Szenario-Analysen und Expert*innenbefragungen verpflichtend werden. Es müssen effektive Kontroll- und Sanktionsmechanismen eingeführt werden. Das Controlling muss von einer unabhängigen Stelle durchgeführt werden. Sämtliche Verwaltungsmitarbeiter*innen müssen langfristig und fortwährend geschult werden. Bei Beteiligungsprozessen ist darauf zu achten, dass durch entsprechende Ansprache und Einbindung alle Geschlechter eingebunden werden.

6. Auf allen politischen Ebenen setzen wir uns für eine konsequente Einpreisung von umwelt- und klimaschädlichem Verhalten sowie die Abschaffung umwelt- und klimaschädlicher Subventionen ein. Dazu gehören zuvorderst die Einführung einer angemessenen CO2-Steuer auf Bundesebene für die wir uns aus Berlin einsetzen und eine Prüfung von Subventionen des Landes Berlin auf ihre Geschlechtergerechtigkeit.

7. Umwelt- und klimaschonendes Verhalten soll verstärkt gefördert werden. Beispiele hierfür sind die Förderung von Unternehmensmodellen wie Second Hand und Wiederverwertung, die Förderung von energiesparendem Verhalten, klimaschonender Ernährung und Mobilitätsverhalten sowie eine Ausweitung von städtischen Angeboten an Share Produkten.

8.  Das Land Berlin soll sich zu seiner Mitverantwortung für die Klimakrise bekennen. Deshalb soll Berlin auf allen Ebenen – im Bundesrat wie auch in den europäischen Städtenetzwerken, in denen Berlin Mitglied ist – dafür werben, dass die EU den Bewohner*innen von Inselstaaten, die durch die Klimakrise unbewohnbar werden, Klimapässe anbieten soll. Als ersten Schritt soll Berlin als europäische Metropole betroffene Frauen* von den Inselstaaten zu einer Konferenz einladen, um so Handlungsdruck auf die Bundespolitik und die europäische Ebene aufzubauen.