Personalsituation in den Berliner Jugendämtern verbessern!

05.02.19 – von hannah.koenig –

Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 24.11.2018

Personalsituation in den Berliner Jugendämtern verbessern!

Der Landesverband von Bündnis 90/ Die Grünen setzt sich für eine schnelle und massive Verbesserung der Personalsituation in den Berliner Jugendämtern ein.

Die Personalsituation in den Berliner Jugendämtern ist weiterhin sehr angespannt. Zahlreiche Stellen sind nicht besetzt. Viele der verbliebenen Mitarbeiter*innen sind überlastet. Es fehlt Personal in den Erziehungs- und Familienberatungsstellen (EFB’s) und in zahlreichen anderen Bereichen, insbesondere beim Basisdienst der Jugendämter, den Regionalen Sozialen Diensten (RSD’s), den Elterngeldstellen und den Unterhaltsvorschusskassen. Berlinweit sind derzeit rund 100 Stellen bei den Regionalen Sozialen Diensten nicht besetzt.

In Kinderschutzfällen gilt eigentlich das (sehr sinnvolle) „Vier-Augen-Prinzip“, das oft nicht eingehalten werden kann, weil zu wenig Personal da ist. Oft müssen die Mitarbeiter*innen des RSD, die für den Kinderschutz zuständig sind, sogar bei Meldungen wegen Kindeswohlgefährdungen entscheiden, welcher Fall der akut wichtigere ist, andere ebenfalls gravierende Fälle bleiben dann liegen. Dies ist inakzeptabel, da grundsätzlich jede Meldung wegen einer Kindeswohlgefährdung wichtig ist und ihr sofort nachzugehen ist. Aus Personalmangel kann so derzeit ein wirksamer Kinderschutz nicht mehr in allen Fällen und jederzeit sichergestellt werden.

Der Personalnotstand führt inzwischen auch dazu, dass Jugendamtsmitarbeiter*innen es oft nicht mehr schaffen, wie eigentlich gesetzlich vorgesehen, an Gerichtsterminen teilzunehmen, die Umgangs- und Sorgerechtsverfahren betreffen. Teilweise werden nur noch schriftliche Stellungnahmen abgegeben, oft wird die Verlegung von Gerichtsterminen nötig, weil Jugendamtsmitarbeiter*innen zu wenig Zeit haben. Dies beeinträchtigt die Qualität der Verfahren an den Familiengerichten. Wenn die Einschätzung eines Kindes und der Familie durch das Jugendamt fehlt, fehlt damit eine der wichtigen Entscheidungsgrundlagen des Familiengerichts, das über ein Kind in Umgangs- oder Sorgerechtsverfahren zu entscheiden hat.

In Trennungskonflikten oder bei Erziehungsschwierigkeiten gibt es für Eltern keine Beratungstermine oder so lange Wartezeiten, dass familiäre Konflikte zwischenzeitlich eskalieren.

Regelmäßige Hilfeplangespräche im Rahmen der Hilfen zur Erziehung (HzE) werden oft nicht mehr oder in viel zu großen Abständen durchgeführt. So bleibt auch die gewünschte Zusammenarbeit mit Schulen auf der Strecke. Schulen brauchen nicht nur genug Lehrkräfte, sondern multiprofessionelle Teams. Unverzichtbar ist die Zusammenarbeit von Schulen und Jugendämtern. Kinder, die Schwierigkeiten in der Familie oder im Alltag haben, haben oft auch schulische Probleme bis hin zur Schulabstinenz. Ein ganzheitlicher Blick auf das Kind kann nur gelingen, wenn Familie, Schule und Jugendamt zusammenarbeiten. Sind Jugendämter personell unterbesetzt, gibt es niemanden, der Zeit hat, in den Schulen zum Beispiel an Schulkonferenzen teilzunehmen.

Elterngeld wird in manchen Jugendämtern erst Wochen oder Monate nach der Antragstellung ausgezahlt, obwohl es sich um staatliche Gelder handelt, auf die Eltern ab Geburt ihres Kindes einen Rechtsanspruch haben. Einige Jugendämter haben die Tätigkeit der Elterngeldstelle inzwischen „outgesourct“. Im Falle von Charlottenburg Wilmersdorf werden die Elterngeldanträge jetzt beispielsweise von Mitarbeiter*innen der landeseigenen Investitionsbank Berlin bearbeitet, was die Bearbeitungszeiten zwar verkürzt hat, aber den Bezirk sehr viel mehr Geld kostet.

Die Überlastung der Mitarbeiter*innen der Regionalen Sozialen Dienste der Berliner Jugendämtern ist u. a. bedingt durch die zunehmenden Fallzahlen. Gerade im Bereich des Kinderschutzes haben sich die Fälle wegen der zunehmenden Meldungen von Kindeswohlgefährdungen in den letzten sechs Jahren verdoppelt. In Berlin existiert derzeit keine Fallobergrenze, im Durchschnitt betreut eine Mitarbeiterin zwischen 80 bis 120 Fälle. Das heißt, eine einzige Mitarbeiterin im Jugendamt ist Ansprechpartnerin für 80 bis 120 Familien. Dies ist deutlich zu viel. Eine verantwortliche Arbeit ist so kaum noch möglich. Die GEW fordert 28 Fälle pro Fachkraft pro voller Stelle. Jugendamtsleitungen in Berlin möchten zumindest eine Begrenzung auf 65 Fälle pro Fachkraft. Die Fallobergrenze muss gesetzlich festgeschrieben werden, dies wäre im Berliner Landesrecht durch eine Ausführungsvorschrift möglich.

Die Bezahlung der Jugendamtsmitarbeiter*innen ist in Berlin zu schlecht. Wer in Berlin beim RSD anfängt, wird in der Regel nach Entgeltstufe E 9 TV-L vergütet, in Hamburg und Brandenburg wird die gleiche Tätigkeit besser vergütet. Einzelne Berliner Jugendämter versuchen derzeit, dies durch Bezahlung nach höheren Erfahrungsstufen auszugleichen, was jedoch stets im Einzelfall zu begründen ist. Wir fordern eine pauschale Höhergruppierung. Hier darf die Senatsverwaltung für Finanzen nicht länger blockieren.

Berlin mangelt es derzeit nicht an Geld, sondern an Fachkräften. Mit dem Personalpolitischen Aktionsprogramm des Berliner Senats sind erste, richtige Schritte angedacht. Das akute und vorrangige Problem der Jugendämter besteht aber in zu vielen unbesetzten Stellen. Auch das Arbeitsumfeld muss verbessert werden und der Stellenausbau an die steigenden Fallzahlen und die geforderten Qualitätsverbesserungen angepasst werden.

Wir fordern daher:

  • Die Jugendämter sind personell so auszustatten, dass sichergestellt ist, dass sie ihren gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben nachkommen können.
  • Dem Fachkräftemangel an Jugendämtern ist zu begegnen, indem der Arbeitsplatz Jugendamt attraktiver gestaltet wird, insbesondere durch
    • Bessere Bezahlung der RSD-Mitarbeiter*innen, künftig Vergütung nach E 11 TV-L
    • Bis dahin Vorweggewährung von höheren Erfahrungsstufen
    • Einführung von Standards für Raumausstattung
    • Entlastung der Mitarbeiter*innen durch gesetzliche Einführung von Fallobergrenzen im Berliner Landesrecht
    • Angebote von Supervision für Mitarbeiter*innen
  • Nicht besetzte Stellen an Jugendämtern sind durch schnelle Ausschreibungsverfahren sowie Dauerausschreibungen im Internet möglichst rasch nachzubesetzen. Für offene Stellen soll zielgruppenorientiert geworben werden, auch im Bereich social media.

 

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Solides Fundament