Joachim Eul ist gestorben

10.10.14 –

Joachim wird uns auf Grund seiner einzigartigen Eigenschaften sehr fehlen. Auf der einen Seite war er sehr diszipliniert und gut organisiert, auf der anderen Seite wirkte er oft wie der Prototyp eines den weltlichen Dingen entrückten Wissenschaftlers. Für ihn war die gelackte Oberfläche nicht wichtig, sondern der substanzielle Gehalt und die wissenschaftliche Tiefe seiner Themen, dafür hat er unermüdlicher gearbeitet.

Joachim war hoch intelligent und dabei ein eigensinniges Unikum. Er besaß ein fundiertes Fachwissen in den verschiedensten Disziplinen und wusste damit besonders jene zu überraschen, deren Bewertungsmaßstab sich auf Äußerlichkeiten beschränkt. Bei seinen zahlreichen Vorträgen gelang es ihm immer wieder, auch scheinbar profane Themen in ihrer wissenschaftlichen Komplexität durch Zahlen, Formel, Tabellen und Graphiken darzustellen um dann das erstaunte Publikum mit einer präzise verdichteten Takehome Message zu verabschieden. Das betraf insbesondere seine Vorträge zu Drogengebrauch und Sexualität. 

Joachim war Technikfreak und wusste auch hier, sein Talent in die Praxis umzusetzen. Er war ein leidenschaftlicher Funker und konnte sogar einen eigenen Fernsehsender von zuhause aus betreiben. In seinem Tonstudio komponierte er elektronische Musik. Mittels seiner Kreativität und viel Computertechnik produzierte Joachim in Heimarbeit zahlreiche Graphiken, die als Vorlage für Plakate (z.B. „Hanf macht glücklich“), in Broschüren und sonstigen Druckerzeugnissen Verwendung fanden. 

Hanf- und Pilz-Bier

Joachim war vor allem Naturwissenschaftler. Nach seinem Studium der Biologie und Chemie in seiner Heimatstadt Gießen fertigte er eine Dissertation zum Tryptophan-Stoffwechsel bei höheren Pilzen an, der zur Bildung psychoaktiver Indolderivate führen kann. Er wurde damit zu einem anerkannten Experten nicht nur für berauschende Pilze. Bei gemeinsamen herbstlichen Exkursionen in die heimische Flora und Fauna konnte er auch die exotischsten Schwammerln mühelos bestimmen.

Weil Joachim sich in seiner Liebe zu den Pilzen jahreszeitlich nicht beschränken wollte, entwickelte er bei sich zuhause ausgefeilte Anbau- und Verarbeitungstechniken. Mit seinen von ihm kreierten Rezepturen zu Pilzbieren „echtes Pilzner“ und später auch zu Hanfgebräuen „Highbrew“ sowie diversen Likörvariationen ließen sich Freunde und Bekannte gerne verwöhnen. So überraschte er seine Freunde einmal zu Ostern mit von ihm selbst gefüllten Pralinen, deren Genuss als ein Erlebnis beindruckender Sinnlichkeit in Erinnerung bleiben wird. 

Als Forscher die Ein-Gen-ein-Protein-Hypothese wiederleg

Neben der Biologie und Biochemie der höheren Pilze hatte Joachim seinen naturwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt in der Molekularbiologie. So erforschte er die genetischen Ursachen von Leukämien am Institut für klinische Genetik der Universität Ulm. Es folgten Studien zum DNA-bindenden Progesteron-Rezeptor am renommierten Inserm (Institut national de la santé et de la recherche médicale) in Straßburg (Frankreich). Seine Forschungstätigkeiten, die in die Entdeckung des RNA-Transspleißmechanismus mündeten, also jenem zellulären Prozess, der es ermöglicht, dass ein Protein durch mehrere Gene codiert wird und damit ein Dogma in der Biochemie, die sogen. „ein-Gen-ein-Protein-Hypothese“ wiederlegte, führten Joachim nach Berlin ans Institut für Molekularbiologie und Biochemie der Freien Universität. Seine molekularbiologischen Forschungsergebnisse stellte Joachim in zehn, zum Teil hochkarätigen, internationalen Journals, publizierten Originalarbeiten da. Seine letzte Publikation, die in Zusammenarbeit mit der National University of Singapur entstand, an der er sich in den letzten Jahren regelmäßig für Lehre und Forschung aufhielt, wurde im Juni dieses Jahres im Computational and Structural Biotechnology Journal publiziert. 

Grüner Werdegang

Joachims politischer Werdegang bei den Grünen begann in Baden Württemberg, wo er 1984 dem Kreisverband Ulm beitrat. Seit 1989 gehörte Joachim dem Landesverband Berlin an. Zeitweise war Joachim Mitglied der Grünen (AL) Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln. Im Bundestagswahlprogramm 1994 sorgte Joachim für die Verankerung der Forderung nach rechtlicher Gleichstellung von Cannabis mit Alkohol. Joachim war Mitbegründer und langjähriger Koordinator der Landesarbeitsgemeinschaft Drogenpolitik sowie Mitautor von vier vielfach aufgelegten drogenpolitischen Broschüren wie Ecstasy, Zauberpilze, Hanf und LSD. Die Broschüre „Zauberpilze bei uns“ erfuhr im Bundestagswahlkampf 1998 besondere Beachtung, weil sie im Nachrichtenmagazin Spiegel (34/1998) in dem Artikel „Pilze des Anstoßes“ unfair rezensiert wurde, was zu einer Solidarisierung der Konsumentengemeinde mit den Grünen führte. Nach dem Plazet auf einer Krisensitzung des Bundesvorstands wurde die Pilzbroschüre wegen überwältigender Nachfragesteigerung mehrfach nachgedruckt und sorgte für viele grüne Wählerstimmen bei der Bundestagswahl 1998. 

Joachim kandidierte für die Landesliste zur Bundestagswahl 1998 und zur Abgeordnetenhauswahl 2001 und 2011. Zudem hat sich Joachim in der Schwulenpolitik engagiert und sich dort z.B. für die sogen. kleine Partnerschaft eingesetzt. Joachim hat auch die LAG Gentechnik aufgebaut und koordiniert. Ihm war bewusst, dass gute politische Arbeit in formalen, demokratisch legitimierten und transparenten Strukturen erfolgen muss. Besonders mit der LAG Drogenpolitik hat er eine politische Werkstatt mit gelegentlicher Bollwerkfunktion geschaffen, in der die drogenpolitische Programmatik der Grünen aufrechterhalten und weiterentwickelt werden konnte, auch und besonders in Zeiten, in denen Drogenpolitik, vornehm ausgedrückt, nicht das Lieblingsthema des grünen Establishments war. Joachim bewies auch nach gelegentlichen Rückschlägen erstaunliche Steherqualitäten und hat sich bis zum Schluss als integraler Teil der grünen Partei verstanden. Daran ließ er auch bei seiner letzten Wortmeldung auf dem Landesausschuss am 12. Juni dieses Jahres keinen Zweifel.

Gegründer und Geschäftsführer des Instituts für Empirische und Interdisziplinäre Drogenforschung

Joachim war Initiator von mehreren Emnid-Umfragen, in denen die Einstellung und Risikowahrnehmung der deutschen Bevölkerung zu Drogen und zu deren liberaleren Regulierung abgefragt wurden. So sprachen sich bei einer repräsentativen Erhebung 2010 54% der deutschen Bevölkerung für eine Liberalisierung in der Cannabispolitik aus. Anders als von vielen vermutet, war die von der LAG Drogenpolitik formulierte Programmatik immer auch demoskopisch abgesichert und kontrastierte damit nicht selten die Vorurteile eines von diffusen Ängsten bestimmten Politestablishments.  2006 hat Joachim auf der Entheovision mit weiteren zehn Wissenschaftsinteressierten das gemeinnützige Drogen-Forschungsinstitut INEIDFO (Institut für Empirische und Interdisziplinäre Drogenforschung) gegründet, das er auch als Geschäftsführer leitet. Startkapital für INEIDFO war das von Joachim gewonnene Preisgeld beim Businessplan Wettbewerb Berlin-Brandenburg 2005 der Investitionsbank Berlin. Bei der Preisverleihung auf einem Galaabend setzte sich Joachim nicht nur durch die Originalität seiner Geschäftsidee von dem übrigen, auf Form und Etikette bedachten Publikum ab.  Die von INEIDFO durchgeführten Studien wurden in der Regel zusammen mit WissenschaftlerInnen aus dem Who is Who der deutschen Drogenforschung publiziert. Geradezu außerirdisch war die Datenerhebung durch Joachim. Wie eine Salzsäule stand er von Sonnenaufgang bis oft spät in die Nacht, bei brühtender Hitze und tosendem Gewittersturm hinter seinem Bistrotisch und verteilte seine meist vielseitigen Fragebögen. Dabei stießen scheinbar Welten aufeinander. Der leicht zersauselte und staubtrocken erscheinende Wissenschaftler und das angeheiterte Partyvolk. Umso erstaunlicher war die hohe Rücklaufquote der komplizierten Fragebögen. Irgendwie müssen die Partygänger gespürt haben, dass Joachim seine Forschungsergebnisse, nicht wie sonst üblich, zur Pathologisierung szenetypischen Verhaltens bzw. zur Legitimation einer repressiven Drogenpolitik missbraucht. Und so erteilten sie teilweise stundenlang bereitwillig Auskunft über ihren Drogengebrauch und ihr Sexualleben. 

Publizist und Referent

Joachim erwarb sich als Referent bei der Präsentation seiner Forschungsergebnisse auf vielen nationalen und internationalen Drogenkonferenzen (u.a. Zürich, San Francisco und Padua) große Anerkennung. Bei der internationalen Club Health Konferenz 2010 in Zürich wurde als einer der wenigen unter hunderten Vorträgen sein Beitrag „Drogenkonsum und (Safer)Sex“ zur Publikation im Schweizer Suchtmagazin (5/2010) ausgewählt. Dabei stellte er die Ergebnisse einer von der Deutschen Aidshilfe finanzierten Studie zum Einfluss von Alkohol und weiteren Drogen auf Sexualempfinden, Sexualverhalten und Kondomgebrauch vor. Die Ergebnisse dieser Pionierarbeit wurden mittlerweile von großen, staatlich initiierten Studien bestätigt und bestimmen derzeit die fachpolitische Diskussion zum Risikoverhalten hinsichtlich HIV-Übertragung und anderer sexuell übertragbarer Krankheiten in sogen. Risikopopulationen.  Bei einem seiner letzten internationalen Auftritte auf der europäischen NEWIP Konferenz „Proceedings of Nights 2013: health, pleasure and communities.“ in Padua (Italien) hat Joachim für die Vorstellung seiner Studie „The influence of various drugs consumed on sociableness, sexual performance and safer sex behaviour“ den zweiten Publikumspreis gewonnen. Damit hat er auch Koryphäen wie z.B. David E. Nichols, Emeritus Professor der Pharmakologie (University of Iowa) und Godfather der Legal High Forschung im Wettbewerb deutlich hinter sich gelassen.  Diesen Vortrag hat Joachim, von seiner langen und schweren Krankheit gezeichnet, auch bei der LAG Drogenpolitik Sitzung am 17. September gehalten. Dort hatten wir Gelegenheit, uns von ihm in Würde zu verabschieden. Kurz darauf ist Joachim verstorben. Wir vermissen ihn schmerzlich. 

Joachim wurde am 26.05.1951 in Altenkirchen in Westerwald geboren. Beerdigt wird er auf dem Neuen Friedhof in seiner Heimatstadt Gießen, ein Termin hierfür steht noch nicht fest.  Die Berliner Trauerfeier wird am 2. November um 16.00 Uhr in der
Begegnungsstätte, Falckensteinstr. 6 10997 in Berlin Kreuzberg stattfinden.

Tibor Harrach, Silke Kolwitz und Jacob Zellmer für die LAG Drogenpolitik