07.12.19 –
Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz am 7. Dezember 2019:
Unser demokratisches Zusammenleben funktioniert nicht ohne eine starke Zivilgesellschaft, die sich aktiv für Demokratie einsetzt und engagiert den Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und alle Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit führt. Dieses Engagement wird maßgeblich von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Projekten betrieben, die sich gegen Rechte Gewalt und für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben einsetzen. Und das oftmals unter erschwerten Rahmenbedingungen, mit limitierter finanzieller Ausstattung und unter großem persönlichem Einsatz. Und immer häufiger sind sie massiven Attacken und Einschüchterungsversuchen vom Rechten Rand ausgesetzt.
Es ist die Aufgabe der Politik – egal ob auf Landes- oder Bundesebene – diesen Einsatz zu würdigen, abzusichern und auf eine solide und verlässliche Grundlage zu stellen. In Berlin übernehmen wir dazu mit dem „Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“, mit der „Initiative Geschlechtliche und Sexuelle Vielfalt“ und vielen weiteren Maßnahmen Verantwortung, die durch unseren grünen Antidiskriminierungssenator und durch unsere Parlamentsinitiativen kontinuierlich weiterentwickelt und gestärkt wurden und werden.
Komplementär dazu hat auf Bundesebene das Förderprogramm „Demokratie Leben“ in den vergangenen Jahren einen essentiellen Beitrag dabei geleistet, diese zivilgesellschaftlichen Strukturen zu unterstützen. Umso unverständlicher ist der aktuelle Kurswechsel des Bundesfamilienministeriums unter Bundesministerin Giffey. Denn durch diesen droht eine Rückabwicklung der Strukturen, die in den letzten Jahren mühevoll aufgebaut und gestärkt wurden. Organisationen und Einrichtungen werden massiv geschwächt und zum Teil sogar zerschlagen.
Von dieser Entwicklung sind auch viele erfolgreiche Träger mit Sitz in Berlin betroffen: Beispielsweise Amaro Foro, TransInterQueer (TrIQ), das Frauenforschungs-, -bildungs, und -informationszentrum (FFBIZ), die Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie Berlin (RAA Berlin), Each One Teach One, das Violence Prevention Netwerk, Ufuq, die Fachstelle Kinderwelten/ISTA, das Kompetenzzentrum Prävention & Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Amaro Drom, die Register- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS), die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus
(KIgA), die Amadeu-Antonio-Stiftung, RomaniPhen, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Citizens for Europe und viele weitere Projekte mehr.
Das Vorgehen der Bundesfamilienministerin hat das Vertrauen zivilgesellschaftlicher Akteur*innen – gerade auch derjenigen, die sich in der Fläche und in für sie gefährlichen Kontexten für das demokratische Gemeinwesen einsetzen – nachhaltig erschüttert. Die, in Reaktion auf öffentlichen Druck vorgenommene, teilweise Rücknahme der Mittelkürzungen bei„Demokratie Leben“ reicht bei weitem nicht aus, um den angerichteten Schaden zu beheben. Wir fordern die rasche Umsetzung folgender Punkte:
Diese Maßnahmen können aber nur ein erster Schritt sein. Zur strukturellen Unterstützung und dauerhaften Absicherung des zivilgesellschaftlichen Engagements über den Bundeshaushalt – unabhängig von politischen Mehrheiten und ohne bürokratischen Mehraufwand – braucht es endlich eine rechtliche Grundlage. Die andauernden Ankündigungen von Giffey, ein „Demokratiefördergesetz“ einzuführen, stellen sich als haltlose Versprechen heraus.
Wir fordern daher, dass der Berliner Senat gemeinsam mit anderen Bundesländern eine Bundesratsinitiative für dieses Gesetz selbst auf den Weg bringt. Dieses soll nicht nur eine rechtliche Grundlage für die dauerhafte Förderung entsprechender Einrichtungen regeln, sondern auch den Rahmen für die inhaltlichen Schwerpunkte legen.
Darin müssen sich programmatisch Projekte gegen Rechts, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus und alle weitere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit – im besten Fall in einer merkmalsübergreifenden, intersektionalen Perspektive – genauso wiederfinden wie die Förderung von Maßnahmen, die bislang unterschätzte Phänomene wie Reichsbürger, Klassismus und die Abwertung erwerbsloser Menschen oder Hass im Netz, in den Blick nehmen.
Ein weiterer Schwerpunkt muss auf Projekten liegen, die sich für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben einsetzen. Hierfür ist die Stärkung der Arbeit von migrantischen Selbstorganisationen und neuen deutschen Organisationen zwingend notwendig. Dazu gehört das communitybasierte Empowerment derjenigen Gruppen, die von Rassismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen, von Antisemitismus, LSBTIQ-Feindlichkeit, Antifeminismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betroffen sind.
Notwendig ist auch eine Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft in Dialog und auf Augenhöhe. Top-Down-Strukturen lehnen wir ab. Wir fordern eine Fördersystematik, die längerfristige Strukturförderungen ebenso ermöglicht wie die Finanzierung von neuen Ansätzen. Wir brauchen stabile zivilgesellschaftliche Netze ebenso wie die Möglichkeit, Organisationen zu unterstützen, die auf neue Bedrohungen reagieren und neue Wege gehen.
Nach der rechtsextremistischen Terrortat in Halle konzentrieren sich die Debatten vor allem auf sicherheitspolitische Aspekte. Dies ist unzureichend. Unsere Antwort auf Halle ist:
Es braucht mehr Solidarität, mehr Engagement, mehr Präventions- und Bildungsarbeit, mehr Empowerment – es braucht mehr Zivilgesellschaft! Nur so können wir die plurale Demokratie ausbauen und verteidigen!
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